Die kleinen Tricks im Miteinander: 1. Verzicht auf (vorschnelle) Wertung

Im Alltag stößt man ununterbrochen auf Meinungen und Standpunkte. In den social media läuft wieder eine Diskussion über Lösungen im Umgang mit Flüchtlingen, am Stammtisch werden die Chancen der heimischen Fußballmannschaften in der Champions League diskutiert und zu Hause geht es darum, wie der anstehende nächste Geburtstag in der Familie begangen werden soll. Dies sind nur einige Beispiele dafür, dass das Leben in der Gesellschaft ununterbrochen Themen bietet, zu welchen verschiedenste Blickwinkel zu verschiedenen Standpunkten führen können.

So weit, so gut. Vielfalt ist ja an sich etwas Bereicherndes. Das Urlaubsbuffet wird ja auch meist daran gemessen, wie groß die Auswahl an Speisen ist – selbst wenn man nur einen Teil davon wirklich probiert. Einkaufszentren verlocken viele nur dann zu begeistertem Shopping, wenn schier unüberblickbares Angebot an unterschiedlichsten Waren da ist, selbst wenn man ohnehin nur mit einer vergleichsweise sehr geringen Anzahl an Artikeln bepackt wieder nach Hause fährt. Und von Juristinnen und Juristen, in Arztpraxen und auch von zahlreichen anderen Berufszweigen kennt und akzeptiert man es, dass es mindestens so viele als einzig richtig verkaufte Einschätzungen zur selben Frage gibt, wie man Menschen befragt hat. Man sollte daher annehmen, dass die Menschen es gelernt hätten, Widersprüche und den Reichtum an Möglichkeiten gelten zu lassen und darin selbst in essentiellen Fragen keine unüberwindbare Gefahr für die eigenen Ziele und Wünsche er erblicken.

Und dennoch passiert es ununterbrochen, dass Menschen sich an Kleinigkeiten fürchterlich in die Haare bekommen. Dass die Planung des nächsten Familienfestes in unüberbrückbar erscheinende Zerwürfnisse mündet, weil einige keine rechte Lust auf eine große Feier haben; dass Freundschaften zerbrechen wegen unterschiedlicher Haltungen in einer Diskussion über die Zustände in den Flüchtlingslagern; dass tiefe gegenseitige Beleidigungen wegen unterschiedlicher Fußballmannschaften, denen die Daumen gedrückt werden, Raufereien provozieren und ein Nachspiel im Krankenhaus oder dem Strafgericht nach sich ziehen. Wie passt das zusammen? Einerseits ist Vielfalt wünschenswert oder zumindest akzeptiert, auf der anderen wird es bekämpft, als hänge das eigene Leben davon ab.

Ein sehr häufiger Grund liegt darin, dass man es in der von vielen als immer schnelllebiger beschriebenen Gesellschaft einfach gewohnt ist, rasche Entscheidungen zu fällen. Immer. Auch dort, wo sie vielleicht gar nicht sofort notwendig ist. Aber man ist es einfach so gewohnt. Dafür wird aus Gründen der bereits in der Schule antrainierten und im Berufsleben geschätzten und geforderten Effizienz der gewöhnliche Ablauf der Entscheidungsfindung zunehmend verkürzt: auf die oberflächliche Beobachtung erfolgt meist sofort die mit eigenen Erfahrungen und Wertevorstellungen angereicherte Wertung. Dass diese dann durch diesen Schnellschuss meist mehr über einen selbst aussagt als über das Beobachtete –das wird dabei übersehen. Und dass damit aus einem Nichts heraus plötzlich schwerwiegende rasch eskalierende Konflikte erwachsen wird zwar bedauert, aber man ist auch da meist nicht darum verlegen, in den jeweils Anderen den alleinigen Grund dafür zu erkennen.

Wie kann man das in den Griff bekommen? Es ist eigentlich vollkommen banal: durch Achtsamkeit, Neugier und Geduld – vor allem auch mit sich selbst – kann man bereits enorme Erfolge erzielen und damit nicht nur das Miteinander angenehmer gestalten, sondern selbst auch sehr viel lernen. Einer der ersten Schritte dabei könnte sein, dass man in einer Situation, in welchem Meinungen aufeinanderprallen, einfach darauf achtet, sich für die klassischen drei Schritte hin zu einer Entscheidung Zeit zu lassen: das Beobachtete beschreiben, es erklären und erst dann, wenn tatsächlich erforderlich, bewerten. Es ist erstaunlich, wie häufig man dann nämlich draufkommt, dass es durchaus gleichgelagerte Bedürfnisse sind, die unterschiedlich artikuliert in Streit münden, wo doch eigentlich ein Schulterschluss zum Greifen nahe wäre und die Zielerreichung sogar vereinfachen würde. Auch kann es so gelingen, in Diskussionen, die gar nicht mal eines Ergebnisses bedürfen, stehen zu lassen mit den unterschiedlichen Meinungen.

In der Praxis bedeutet dies: wenn in einem Gespräch ein Widerspruch zur eigenen Sichtweise auftaucht, dann ist das in nahezu allen Fällen noch keine Kriegserklärung. Sie muss daher auch nicht erwidert werden. Hat man das Gefühl, das Gehörte kann nicht so hingenommen werden, dann besteht jetzt die Möglichkeit, zu hinterfragen, was denn hinter diesen Worten steckt. Und umgekehrt – wobei das Wort „aber“ tunlichst immer durch ein „und“ ersetzt werden sollte – kann und soll natürlich auch Einblick gegeben werden in die eigene Sichtweise. Statt das Gegenüber als Resultat eines vorschnellen Urteils zu bekämpfen und in die Rechtfertigungsecke zu drängen, wird ihm mitgeteilt, was man gehört hat und es wird nachgefragt, was denn damit ausgedrückt werden soll. Körpersprachlich wird vermieden, dass das Gegenüber die Hände verschränkt und somit zum Ausdruck bringt, gar nicht mehr so recht zuhören zu können und nur noch nachdenkt, wie die Verteidigungsstrategie effektiv zurechtgelegt werden kann. Durch – auch körpersprachlich sichtbares – öffnendes Nachfragen bekundet man Interesse und eröffnet solchermaßen die Möglichkeit, dass einerseits Missverständnisse ausgeräumt werden, andererseits vielleicht sogar die Motive hinter der Haltung ans Tageslicht kommen. Diese Erklärungen, die man dabei angeboten bekommt, bringen im besten Fall Gemeinsamkeiten hervor, welche man ansonsten übersehen hätte. Diese Gemeinsamkeiten können jetzt als Basis herhalten für die Klärung der ebenfalls vom Thema betroffenen Aspekte. Statt des aus einem vorschnellen Urteil resultierenden Wettkampfes gegeneinander mit den Facetten der verschiedenen destruktiven Konfliktlösungsmuster von der Vernichtung über die Unterwerfung bis hin zur Flucht entsteht durch das längere Verweilen auf der Ebene des Beschreibens und Erklärens der Beobachtung ein Klima, das eine gemeinsame Bewertung und somit Entscheidung begünstigt. In dieser Atmosphäre sind Einigungen möglich, in der beide Seiten sich gleichermaßen finden oder zumindest für verbleibende Reste der unterschiedlichen Zugänge wechselseitige Akzeptanz zur friedlichen Koexistenz erfahren, da sie keine Bedrohung darstellen und auch als solche nicht bewertet werden.

Viel Erfolg beim Ausprobieren. Seien Sie dabei bitte geduldig – vor allem auch mit sich selbst!

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Hansjuergen Gaugl

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