Psychosozialer Einfluss der Mutter auf die Entwicklung

Die Verbindung zur Mutter stellt die allererste Liebe im Leben eines Kindes dar. Sie prägt sein Dasein und formt seine Persönlichkeit. Durch eine gesunde Mutter-Beziehung erhält das heranwachsende Kind ein wertvolles Rüstzeug in Händen gelegt, das ihm bei der Bewältigung seiner Aufgaben von großem Nutzen ist.

40 Wochen verbringt ein ungeborenes Kind im Bauch der Mutter. Über die Nabelschnur ist es mit ihrem Blutkreislauf und dem Stoffwechsel verbunden. Der kleine heranwachsende Mensch ist also zugleich eigenständiges Wesen, als auch Teil des mütterlichen Organismus - mit entsprechenden Auswirkungen auf seine Entwicklung. Doch auch nach der Geburt spielt die Position der Mutter eine bedeutende Rolle im Leben des Kindes. So ist sie eine der wichtigsten „Autoren“ für das Lebensdrehbuch des heranwachsenden Sprösslings.

Prägung findet bereits vor der Geburt statt

Das kindliche Erbgut wird bereits ab dem Zeitpunkt der Befruchtung noch im Mutterleib geprägt. Mehr noch: Die Einflüsse sind nicht nur punktuell, sondern generationsübergreifend wirksam. So hat chronischer Stress während der Schwangerschaft nachhaltige Auswirkungen auf den Entwicklungsverlauf. Inwiefern? Stresshormone beeinflussen unter anderem die Plazenta, stören dort den Blutfluss und unterbinden damit die Nährstoffversorgung des Bauchbewohners. Außerdem führen sie dazu, dass sich die epigenetische Codierung der Zellen verändert.

Pränataler Einfluss auf Emotionen und kognitive Leistung

Wie ängstlich jemand in bestimmten Situationen ist und wie empfindlich er auf Stress reagiert, hängt demzufolge eng damit zusammen, welchem Stress er bereits im Mutterleib ausgesetzt war. Ein Psychologenteam von der Universität Konstanz konnte beispielsweise nachweisen, dass Misshandlungen während der embryonalen Entwicklung nicht nur die epigenetischen Muster der Kinder verändern, sondern auch deren Aufmerksamkeit und Gefühlsleben. Eine andere, im Jahr 2007 am Imperial College in London durchgeführte Forschungsstudie kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Den Wissenschaftlern zufolge kann die Übertragung eines hohen Cortisolspiegels von der Mutter auf das Kind Ängste und Depressionen begünstigen. Zur Info: Ein erhöhter Cortisolspiegel ist häufig die Folge eines lang anhaltenden Belastungszustands.

Neurochemische Informationen geben den Weg vor

Die neurochemischen Informationen, die die Mutter an den Bauchbewohner weitergibt, haben offensichtlich die Funktion eines biologischen Wegpfeilers. Der Embryo macht sich darauf gefasst, nach der Geburt dieselben Bedingungen wie im Mutterleib vorzufinden. Folglich passt er seine mentale Grundausstattung an jene äußeren Gegebenheiten an, die er „erwartet“. Wobei sich ungünstige Muster wie chronischer Stress ebenso in die epigenetische „Landkarte“ einbrennen wie förderliche Informationen. Innere Ausgeglichenheit der Mutter und ihre Zuneigung zum Ungeborenen forcieren nicht nur die Hirnentwicklung, sondern auch die Bildung bestimmter Rezeptoren für körpereigene Opiate. Endorphine sorgen wiederum dafür, dass Schmerz- und Stresssituationen im späteren Leben besser händelbar sind.

Gute Mutterbindung fördert kindliche Resilienz

Ein Fundament für die Persönlichkeitsentwicklung wird bereits im Mutterleib gelegt. Das noch ausständige Rüstzeug für die Bewältigung aller Lebensaufgaben erhält das Kind im Laufe seiner Entwicklung – wobei die ersten Lebensjahre von besonderer Bedeutung sind. Ein wichtiges Schlüsselwort in diesem Kontext lautet „Urvertrauen“. Menschen, die ein gesundes Urvertrauen entwickelt haben, sind belastbarer als andere. Streicheleinheiten, angenehme Berührungen und liebevolle Zuwendung fördern die Ausbildung des Urvertrauens. Umgekehrt wirken sich Vernachlässigung und Misshandlung nachteilig aus - es bildet sich ein Urmisstrauen mit Neigung zur Überängstlichkeit und sozialer Unsicherheit.

Fehlende Mutterliebe macht Söhne aggressiv

Besonders deutlich zeigt sich dieser Zusammenhang in der Mutter-Sohnbeziehung: Pasco Fearon, Psychologe an der britischen Universität von Reading analysierte 69 Untersuchungen mit knapp 6000 Kindern unter zwölf Jahren. Es zeigte sich, dass Verhaltensprobleme – und hier insbesondere Aggressionen - deutlich häufiger auftraten, wenn die Mutter in den ersten Lebensjahren keine sichere Bindung zu ihrem Sohn aufbauen konnte. Zum selben Ergebnis gelangten die Forscher um Christopher Trentacosta von der Wayne State University. Sie beobachteten 265 Mutter-Sohn-Paare über einen Zeitraum von zehn Jahren. Den Wissenschaftlern zufolge wurden Söhne mit konfliktreicher Mutterbeziehung eher straffällig als andere. Positiver Umkehraspekt: Burschen mit einer engen Bindung an die Mutter entwickelten später auch gute Beziehungen zu Freunden.

Starke Mütter = starke Töchter

Das auch Töchter von einer guten Mutterbeziehung profitieren zeigt eine an eine am University College London durchgeführte Studie. Eirini Flouri vom Department of Psychology and Human Development konnte eine Wechselwirkung zwischen dem mütterlichen Vertrauen in die Fähigkeiten der Tochter und der tatsächlichen Ausprägung des töchterlichen Selbstbewusstseins nachweisen. Zu diesem Zwecke mussten die Mütter gefühlsmäßig voraussagen, wann ihre Töchter einen Schulabschluss erlangen würden. Zu diesem Zeitpunkt, konkret im Jahr 1980, waren die Kinder zehn Jahre alt. Jahrzehnte später analysierten die Wissenschaftler, was aus ihnen geworden war. Das Resümee der Langzeitstudie: Je stärker das Vertrauen in die dazumals heranwachsenden Töchter war, desto mehr verdienten diese und desto eher hatten sie ihr späteres Leben im Griff.

Väter erziehen anders

Neben der Mutter hat freilich auch der Vater eine wichtige Schlüsselposition im Leben des Kindes. Spannendes Detail am Rande: Das Kind nimmt die Stimme des Vaters bereits im Mutterleib wahr und kann diese später von anderen Stimmen unterscheiden. De facto erziehen Väter anders als Mütter. Sie geben auch andere Impulse an ihre Sprösslinge weiter. So weiß man aus Studien, dass Väter häufig taktile und kinästhetische Stimulationen bevorzugen, während Mütter eher visuelle Stimuli wählen – um nur ein Beispiel zu nennen. Ganz allgemein sind Väter oft fordernder und ihrem Verhalten weniger vorhersehbar als Mütter. Mütter wiederum nehmen tendenziell eher die Rolle der Beschützerin ein. Gerade diese rollenspezifischen Unterschiede in den Erziehungsmethoden bereichern die Entwicklung.

Gute Paarbeziehung stabilisiert Familiengeflecht

Für Kinder stellt die Familie der erste und wichtigste Ort des Aufwachsens dar. Die innerhalb des Familiengefüges stattfindenden Interaktionen sind für die Ausbildung der eigenen Identität wesentlich. Familie schafft somit das Fundament für die Entwicklung - und zwar für alle Generationen. So lernen die einzelnen Familienmitglieder von- und miteinander und entwickeln darauf basierend Lebensstrategien wie Empathie, Eigenverantwortlichkeit und Konfliktmanagement. Doch nicht nur die Eltern-Kind-Beziehung selbst ist von Bedeutung. Ebenso entscheidend ist, wie sich Vater und Mutter als Paar begegnen. Kinder übernehmen die Werte, Vorstellungen und Normen aus dem täglich Erlebten und imitieren die ihnen bekannte Nähe, Gemeinschaft und Geborgenheit im späteren Leben.

Wertschätzendes Miteinander

Fazit: In einer Familie wird nicht immer alles reibungslos verlaufen. Konflikte sind Teil eines normalen Entwicklungsprozesses und gehören dazu. Liebevolle Rahmenbedingungen und ein wertschätzendes Umfeld schaffen die Basis für ein gesundes Miteinander und eine Resilienzfähigkeit in späteren Jahren. Wertschätzung ist demnach auch das abschließende Stichwort, auf das es sich zu fokussieren lohnt. Nicht nur an Muttertagen – sondern immerwährend.

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