Vor wenigen Tagen jährte sich die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz zum 70. Mal, ein Jahrestag bei dem die Grauen des Holocaust und die unfassbaren Taten der Täter und wenigen Täterinnen in den Konzentrationslagern und im Holocaust wieder mehr in unser Bewußtsein steigen.

Schlagworte wie "Bestie Mensch" oder "homo homini lupus est" kommen einem dabei oft in den Sinn, die Vorstellung dass das alles perverse, sadistische Ungeheuer gewesen sein müssen, beruhigt uns irgendwie, hilft es uns doch, uns abzugrenzen und klar zu trennen. Seitdem hat der Mensch tausendfaches Morden und Töten nicht aufgegeben, sei es auf den Killing Fields der Roten Khmer in Kambodscha, der Kulturrevolution in China, dem Genozid an den Tutsi in Ruanda oder direkt in Europa bei den ethnischen Säuberungen am Balkan, samt neuen Konzentrationslagern und dem Massaker von Srebrenica. Das "Nie wieder" ist also ein täglicher Kampf, der aktuell in den Ländern in denen IS(IS) seinen Irrsinn entfaltet und in unzähligen Bürgerkriegen wie Syrien, Sudan geführt wird. Umso wichtiger scheint es, sich auch heute mit dem Töten zu beschäftigen.

Leider zeichnen die Geschichte und die Psychologie und klinische Psychiatrie ein anderes Bild der TäterInnnen, die solche Taten begehen. Als etwa die Sondereinsatztruppen des Russlandfeldzuges, die hinter der Front Polen und Russland von allem unerwünschten menschlichen Leben - für die Nazis Juden und Jüdinnen, Asoziale, Roma und Sinti, KommunistInnen befreien sollten ihr Morden begannen, gab es durchaus unter den Mitgliedern dieser Kommandos, die aus allen Schichten der Gesellschaft kamen u. mit allen Bildungsstufen versehen waren Wenige, die die Brutalität und das Töten verweigerten, am Ende waren die Mordenden nicht mehr aufzuhalten.

Die Welt ist heute auch schockiert von der unfassbaren Brutalität, Menschenverachtung und Kaltblütigkeit mit der der "Islamische Staat", IS(IS) tötet - also hinrichtet, mordet und versklavt. Aber auch Attentäter wie Anders Bering Breivik oder aktuell die beiden Attentäter die die Karikaturisten von "Charlie Hebdo" u. den sogar moslemischen Polizisten kaltblütig ermordeten machen uns fassungslos und lassen uns fragen "Handeln so Menschen?", bis zu "Sind das nur Geistesgestörte?", "Irre"?

Die Psychologie versucht außer in per se pathologischen Fällen wo wirklich sadistisches, zerstörerisches, menschenverachtendes völlig empathie- und hemmungsloses Verhalten in Menschen angelegt zu sein scheint, den Weg zum bedenkenlosen Töten durch verschiedene Schritte und Methoden zu erklären, mit denen die uns angeborene Tötungshemmung Stück für Stück "ausgebaut", quasi "abgeschaltet" oder zumindest betäubt wird. Eine Methode ist die Entmenschlichung des Opfers, etwa wenn Nazis konsequent Juden u. Jüdinnen Menschsein absprachem, durch Rassengesetze, noch mehr aber Wortwahl wie "Bazillus Jude", "Läuse", "Volksschädling" usw die Idee zerstörten, da würde ein Mensch einen Mitmenschen töten. Ähnliches schaffen radikale Prediger u. Scharfmacher, Terroristen indem sie den Islam u. die Regeln darin für "Ungläubige" so auslegen, dass es gottgewollt sei "Ungläubige", "Mohamed-Beleider" zu töten, diese unwert ja nicht menschlich seien. Durch extreme Hassgefühle, unter Alkohol- oder Drogeneinfluss u. dem extremen Gruppenzwang eines Mobs oder Genozids ist das Morden und Töten dokumentiertermassen ebenfalls deutlich leichter.

Auch die oft durch Befehlsnotstand, absolute Gehorsamspflicht gegen Vorgesetzte im Krieg erzwungenen Tötungen selbst lassen Täter verrohen, Töten wird quasi erlernt, Gewohnheit, alle Moral-Bedenken in diesem Sog aus Gewalt, Mord, Gegengewalt, Indoktrinierung und Propaganda ertränkt. Bei Soldaten in Kriegshandlungen kommt ständige Angst um eigenes Leben, das "ich oder er stirbt"-Denken und traumastisierende Front-Erlebnisse mit hinzu. Im Fall der Attentäter von Paris kamen beide Faktoren zusammen, dem Vernehmen nach waren sie in Syrien im Einsatz, davor von Al Quaida ausgebildet u. indoktriniert, danach unter dem Einfluss von IS-Fanatikern.

Wohl immer schon war der Mensch auch Meister darin, sein Handeln und auch und zuerst sein Töten für "gerecht" und "richtig" zu erklären, um es ethisch und moralisch zu rechtfertigen, sich von der Schuld des Mordes reinzuwaschen. Kriege wurden "im Namen Gottes", "für Kaiser und Vaterland", "für den Führer und das eigene Volk" geführt und Morden darin gerechtfertigt, teils unter reger Mithilfe der Kirchen, die die Waffen segneten. Das gesamte von Menschen geschaffene Rechtsgebiet "Kriegsrecht" lebt davon, das Töten und den Mord klinisch sauber mit Paragraphen zu legitimieren und Grenzen, Regeln fast einzuziehen, die das Töten dann doch als "Kriegsverbrechen" u. "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" verfolgbar machen.

Auch die Technik erleichtert das Töten massiv. Müßten wir unser Töten ohne jede Waffe durch pures Erwürgen, Erschlagen usw ausführen gegen den Anderen wäre es weit schwerer einen röchelnden, um sein Leben bettelnden und kämpfenden Menschen umzubringen und das Leben zu nehmen als dank Technik auf hunderte Meter, ja bei Atomwaffen tausende Kilometer Entfernung ohne jeden Sicht- u. Augenkontakt, via Abzug des Gewehrs, Abschussmechanismus der Rakete usw. usf.

Aber das Töten ist auch aus unserem Alltag nicht wegzudenken. Weil wir wie oben beschrieben das Töten erleichtern, indem wir auch bei Tieren von Kindesbeinen an streng differenzieren zwischen Haustieren, Wildtieren, Nutztieren wird das Haustier Katze abgöttisch geliebt und verhätschelt, kann das Wildtier Rehbock weitgehend unbehelligt seiner Wege gehen, während das Nutztier Kuh nach Bruchteil seiner Lebensspanne, nach Massentierhaltung und brutalem Transport bedenkenlos getötet wird und der/die KonsumentIn das Schnitzel verzehrt, ohne jemals das Tier das es liefert im Kopf zu haben, nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Die Subtilität und wirkungsweise dieser Differenzierung viel mir bei einem Großbauern auf, der all seine Katzen unterschiedslos "Mäusehund" nannte und in ihnen Nutztiere zur Mäusejagd sah, während meinereiner dieselben Katzen "Schwarze", "Rote" taufte und als Haustiere gerne verhätschelt und zum Tierarzt gebracht hätte.

Vielfach "trivialer" sind unsere eigenen Tötungen im Alltag, schon Kinder lernen daß lästige Insekten erschlagen werden dürfen, Mäuse als Schädlinge - welch krasses wertendes Wort und Definition wieder - in Fallen gefangen werden dürfen, Katzen tote Mäuse bringen, Kälber eben zum Schlachter gefahren werden. Doch gerade hier liegen die Wurzeln fürs Töten und seine Legalisierung. Was, Wann u. Wen ich töten darf unterliegt plötzlich Regeln und ist sogar verhandelbar, wird in verschiedenen Familien anders gehandhabt, lernt das Kind das zunächst intuitiv jedes Lebewesen gleich schützenswert, schön, faszinierend fand und es bewundern, liebhaben, erforschen wollte.

Als Soldat stellen sich schon mit der ersten Ausgabe der Waffe und spätestens dem Laden mit scharfer Munition für jeden Grundwehrdiener u. Berufssoldaten und -soldatinnen die Fragen nach dem "Was tue ich da?", "Was wenn ich im Einsatz zu töten habe?", "Wann ist Töten gerechtfertigt, wann nicht?" Wer bereits wie ich einen Monat im Burgenland im Assistenzeinsatz war und in stundenlangen Einsätzen mit geladener Waffe Zeit hatte darüber zu reflektieren, der oder die kommt wohl zwangsweise zu ähnlichen Gedanken über das menschliche Töten.

Gesellschaftlich sogar toleriert bzw nicht unter Strafe gestellt ist das massenhafte Töten von ungeborenen Menschen durch Abtreibung, mit medizinischer Indikation sogar noch Minuten vor der natürlichen Geburt. In diesem hochbrisanten Akt des Tötens, in dem wir für mich das Recht der Mutter auf Selbstbestimmung über ihren Körper letztlich sogar über das Recht des ungeborenen Menschen auf Leben stellen, verweigere auch ich meiner Partei und der Politik teils den Gehorsam, wiegt mein Gewissen höher, Definition "das sei bis zum 3. Monat noch kein Mensch" - siehe oben - hin oder her.  Das Töten auf Verlangen dagegen, sei es auch auf Wunsch des oftmals unheilbar Kranken, des Hoffnungslosen und der Suizid sind geächtet und strafbar nach wie vor. Ein Dilemma, das Tausende in Gewissensnöte bringt und zu einem Sterbetourismus führt, der auch wieder unmenschlich ist.

Meine gebrochene. unvollständige persönliche Konklusio aus meinen Gedanken ist für mich verstörend unschlüssig und inkonsequent, ständig neuen Grenzziehungen und Gewissenskonflikten ausgesetzt, ohne wirklich auf das Essen von Fleisch oder das Bekenntnis, als Soldat wenn es sein muss mein Land zu verteidigen zu verzichten.

Was ich weiss ist, dass wir täglich kämpfen müssen, unsere Sprache, Werthaltungen und Denken von verlockendem Weg-Definieren, Schönreden, Legalisieren freizuhalten wollen wir nicht alle Tötungshemmung beseitigen und Morden zur Normalität werden lassen. Was ich weiß ist, dass LEBEN niemals wertlos sein kann, dass das Recht auf Leben das dem Töten Einhalt gebietet unverhandelbar und unveräußerbar sein müßte, sei es nun für Mensch oder Tier. Was ich auch weiß ist, daß wir wenn wir den Versuch zu Pazifismus u. "Nie wieder Krieg" u. "Nie wieder Genozid" aufgeben u. beides als unvermeidbar akzeptieren uns selbst und unsere Demokratie, Kultur und Gesellschaft aufgeben. Was ich weiß ist, dass ich Politiker, Ethikkommissionen und Gesetzgeber will, die die ethischen und moralischen Aspekte jedes Tötens abwägen, diese Dimensionen verstehen und denen die Lehren aus der Geschichte, sei es Auschwitz, Srebrenica, usw klar sind. Was ich weiss ist, dass es vor allem eine wache Zivilgesellschaft braucht, die aufschreit und reagiert wenn in Politik, Gesellschaft und Gesetzgebung ein falscher Weg eingeschlagen wird, und da zähle ich auch und gerade Kirchen dazu. Was ich zuletzt weiß ist, dass wir in Erziehung und Schule, Ausbildung, Bildung, Kunst und Kultur diese Haltungen zum Leben, diese Dimensionen des Tötens, diesen Respekt vor der Schöpfung vermitteln und lehren müssen, auf allen Ebenen

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Emil Goldberg

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