"Die Überglücklichen" - oder: Der Triumph des Konformismus

Letztes Wochenende die Idee, mal wieder was zu machen zusammen. Also als ganze Familie.

Die Wahl fiel auf den Film "Die Überglücklichen"(La pazza gioia von Paolo Virzi). Als etwas, was nicht zu ernst sein sollte, um nicht die beiden Damen (Mama und Tochter) zu langweilen, aber auch nicht zu doof, um nicht Papa zu veranlassen, das Kino spätestens zur Hälfte des Films zu verlassen.

Eine gelungene Wahl. Alle haben am Schluss das Kino verlassen im Gefühl, einen guten und schönen Film gesehen zu haben.

Die Abenteuer der beiden Protagonistinnen (2 Frauen treffen in einem "lighten" Zentrum für Psychiatrie aufeinander, werden Freundinnen und büchsen zusammen aus) sind zwar nicht sonderlich überraschend, also ziemlich vorhersehbar; aber die Realisierung mit Micaela Ramazotti und Valeria Bruni Tedeschi als Hauptdarstellerinnen kann überzeugen. 2 wirklich schöne Frauen, aber nicht dargestellt in der makellosen Schönheit von Lifestyle-Fotos, sondern von den Spuren ihrer Krankheit gezeichnet.

Glaubhaft.

Mit dem Anspruch, nicht nur eine oberflächliche Komödie abzuliefern, stellt der Film durchaus valente Fragen:

-- Wer eigentlich sind die Verrückten, die "Kranken" drinnen oder die "Normalen" draussen?

-- Und warum eigentlich ist dann die Eingangstüre abgeschlossen?

-- Sehr gut auch die Beobachtung, dass sich in den Badezimmerschränken der "Normalen" draussen die gleichen psychotopen Medikamente in gleicher Quantität finden wie in der Anstaltsapotheke....

Bis hierher alles gut und schön.

Aber: der Schluss...

Wo vergleichbare Filme (Einer flog übers Kuckucksnest, Thelma und Louise..) in Szenen und Akten der Widerständigkeit/der Rebellion enden (auch wenn sicher nicht immer in die Realität übertragbar...), so lässt Virzi seine beiden "Überglücklichen" nach dem "Freigang" freiwillig in die Anstalt zurückkehren. Eine davon in der recht drastischen Darstellung wie ein entlaufener Hund, der mit buchstäblich letzter Kraft an der Tür des Hauses seines Herrchens kratzt.

Unglaublich.

Es ist ja nicht die Schuld des Films -- Filme wie Songs als "Popkultur" sind ja erstmal (nur) die getreuen Spiegel des jeweiligen gesellschaftlichen Bewusstseins.

Und dieses, so scheint es, akzeptiert die beschriebene angebotene (Auf)Lösung am Schluss des Films widerspruchslos als "normal".

Was heisst: Man befindet sich in Konkordanz mit der Realität, samt der von ihr vorgehaltenen "Lösungen" für die Fälle, die ihren möglichst reibungslosen Ablauf stören.

Man muss an dieser Stelle erinnern, dass es gerade Italien war, wo die fast antipsychiatrische Reform eines Dottore Basaglia stattgefunden hatte..mit der defacto Auflösung der psychiatrischen Zentren.

Sehr lange her, wie es scheint.

Heute dagegen die Erklärung der totalen Konkordanz mit den angebotenen "Lösungen", die "declaration of conformity".

Kein Platz, noch schlimmer: kein Bedürfnis mehr, über die Mauern von dem zu springen, was sich als "die" Realität präsentiert.

Dieses Ende, diese Leerstelle, das völlige Fehlen jeder auch nur Andeutung eines kollektiven Traums als Vektor in Richtung eines "Darüber hinaus" scheint mir der Beginn eines ziemlich schlechten Traums...

PS: Wer sich jetzt an "Tschick" und den Hype darum erinnert, der liegt richtig: auch dort darf der Leser die beiden Ausgebüchsten mit wohligem Schauern begleiten -- um dann dem sprichwörtlichen guten Schluss(will heissen: sich selbst in seiner funktionierenden "Normalität";) zu applaudieren, als die treibende rebellische Kraft der beiden ins Heim kommt. Wo ihn der "liebe" Freund sogar jedes 2. Wochenende besuchen darf. Wunderbar. So, wie eben einen nicht haltbaren Hund, der ins Tierheim muss.

Was eine Gesellschaft will oder nicht will, zeigt sich darin, dass (fast) alle ein solches Buch gut finden...

Die Überglücklichen (La pazza gioia, Reg. Paolo Virzi, mit Micaela Ranazotti und Valeria Bruni Tedeschi, 1h 58 min)

Hier zum Trailer.

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