Was ist der Unterschied zwischen Phrasen und einem dicken Fell?

Da gibt es keinen; beide werden gedroschen.

Es ist ja nicht so, dass es nicht immer schon Phrasen gegeben hätte. Sie vereinfachen die Kommunikation, indem sie - oft als metaphorische Phrasen - Bilder liefern, ohne lange Erklärungen bieten zu müssen. Die Bedeutung vieler Phrasen, die derart in unserem kollektiven Gedächtnis verankert sind, dass wir oft gar nicht mehr um ihre Herkunft wissen, ist einfach da. Jeder versteht sie, nur wenige hinterfragen sie.

Aber da gibt es auch noch die anderen. Jene, die durch die Zeitläufte abhanden kamen oder nach gesellschaftlichem Wandel bewusst geschmäht wurden.

Als Angehörige einer Generation, der man, aus guten Gründen, die Beobachtung der Sprache ans Herz und zu diesem Zwecke Victor Klemperers LTI (Lingua Tertii Imperii / Sprache des Dritten Reiches) in die Hand legte, bin ich in diesen Dingen gut wach.

Und bemerke schon seit einigen Jahren, dass bestimmte, einstmals geschmähte Formulierungen und Phrasen wieder opportun zu werden scheinen. Wo man einst den alten Nazi, der aus seiner Haut nun nicht mehr raus kann, zu erkennen meinte, spricht nun mancherorts der Hausverstand, der nie vorgegeben hat, besonders intellektuell zu sein. Der ist für den Einzelnen, was das gesunde Volksempfinden für die Gesamtheit zu sein vorgibt und wohnt - natürlich! - in der christlich-westlichen Welt mit ihren ebensolchen Werten.

Nicht, dass derlei Vokabular jemals ganz weg gewesen wäre. Nazis gab es die ganze Zeit. Neu aber ist, dass dieses Wortgut inzwischen wie selbstverständlich in den Allgemeingebrauch überschwappt und bei Kritik unter dem Motto "Das wird man doch noch sagen dürfen!" ins Mäntelchen der Meinungsfreiheit gestopft wird.

Klar darf man, weil ... so frei sind wir schon, muss sich aber gefallen lassen, dass Menschen, die LTI gelesen und verinnerlicht haben, sich eine nicht eben günstige Meinung bilden.

Womit wir bei jenen wären, denen nicht nur das Gefühl für Sprache, sondern auch jenes für anderer Leute Befindlichkeiten abhanden gekommen ist. Denn dick ist deren Fell immer nur, wenn es um die anderen geht. Beim Eigenen sind sie oft sehr dünnhäutig.

Die wiederum müssen, dank unserer Werte ( westlich, christlich hin oder her) damit leben, dass die LTI-Empfindlichen sich locker in den Mantel der Meinungsfreiheit schwingen und das sagen, was sie sagen zu müssen meinen.

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Silvia Jelincic

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hagerhard

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