Ende des letzten Jahrhunderts legten zwei fleißige, damals noch junge Autoren (Jürgen Roth und Kay Sokolowsky) gleich zwei Bücher vor, in denen sie sich mit dem verschwörungstheoretischen Denken befassten: "Wer steckt dahinter" (eine Rezension kann man hier https://www.stephanmaus.de/blog/posts/1998-12-16-juergen-roth-kay-sokolowsky-wer-steckt-dahinter/ nachlesen) und "Der Dolch im Gewande". Was sie noch nicht ahnen konnten, war die rasante Vermehrung der Verschwörungserzählungen, die nach 9/11 Fahrt aufnahm. Einer der Profiteure war der Journalist Mathias Bröckers, dessen Buch über mögliche Hintermänner (Spoiler: irgendwas mit Israel) zum Bestseller wurde. Der Mann ist in den fast 25 Jahren seit dem Attentat nicht faul geworden und präsentiert auf seiner Website auch seine Theorie zum Attentat auf Charlie Kirk, dessen Urheber (Netanyahu) feststeht: Bibi ahnte wohl, dass der Gesinnungswechsel Charlie Kirks vom christlich-zionistischen Pro-Israel-Propagandisten zum Kritiker des Kriegs in Gaza und gegen Iran und des israelischen Lobbyismus in und um die US-Regierung, nicht unter dem Teppich bleiben würde. Ebenso wenig wie die großen Schecks, die ihm erfolglos angeboten wurden, wenn er wieder auf Linie einschwenkt und anderen konservativen Kritikern des israelischen Genozids wie Tucker Carlson oder Megyn Kelly keine Debattenplattform mehr liefert. Für den Verdacht, dass Charlie Kirk ein Opfer im Informations- und PR-Krieg geworden ist, den Israel gerade weltweit verliert(...) gibt es außer dem Motiv und Netanjahus vorauseilenden Bekundungen keine weiteren Belege. Und wie es ausschaut, muss auch nicht mehr weiter ermittelt und recherchiert und nach Hintermännern oder anderen Schützen gesucht werden, denn: Wir haben eine Magic Bullet! Die anschließenden Spekulationen erspare ich mir und meinen Leser*innen, möchte aber nicht versäumen, darauf hinzuweisen, dass diese Theorie beim österreichischen Identitären Lichtmesz auf fruchtbaren Boden (s. Sezession, wer's mag) fiel: Es ehrt Kirk, daß er auch Kritikern der israelischen Politik und Einflußnahme eine Plattform gab (...). Mit einigen von ihnen, wie Carlson und Owens, war er persönlich befreundet. Dieses Vorgehen trug ihm massiven Druck seitens seiner Geldgeber, “leaders” und “stakeholder” ein (...). Diese Spannungen führten bereits Mitte August dieses Jahres zum Gerücht, Kirk hätte Angst davor, Israel werde ihn umbringen, wenn er seinen kritischen Kurs weiterhalte. (...) Daraus resultierende Verschwörungstheorien sind nun im Umlauf. Mangels an Beweisen unterstütze ich sie nicht, aber psychologisch gesehen sind sie erwartbar, nicht zuletzt angesichts dieses für manche Leute offenbar sehr willkommenen Timings. Da kann zwar nichts dran sein, aber irgendetwas wird schon dran sein. Wenn einer den Juden krumm kommt, läuft er immer Gefahr, von diesen rachsüchtigen Gesellen abgeknallt zu werden, zumal wenn er zuvor sich von ihnen finanzieren ließ. Da kennen die nichts und riskieren lieber einen Bruch mit der Trump-Regierung als einen ihrer Gegner ungeschoren davonkommen zu lassen. Ist doch logisch, oder?
Irgendwo in den immer noch lesenswerten Büchern von Roth/Sokolowsky findet sich, wenn ich mich recht erinnere, der Hinweis, dass sich jede Verschwörungserzählung auf einen antisemitischen Kern zurückführen lasse. Wenn's der Soros nicht ist, ist es der Netanyahu, und wenn der gerade keine Zeit hat, der Rothschild.
PS: Was das Musikvideo anbelangt, so frage ich mich, ob es eine US-amerikanische Radiostation gewagt hat, in der Woche nach dem Attentat den Titel so kommentarlos abzuspielen, wie es die englische Website "Bottom of the Pops" tat. Hörenswert ist der Postpunkklassiker allemal.