Bist du gelehmt!

Lehmbau ist in unseren Breitengraden ein exotisches Nischenprodukt. Völlig zu Unrecht, wie der bereits mehrfach preisgekrönte Vorarlberger Architekt Martin Rauch meint. Er selbst wohnt in einem Stampflehmhaus in Schlins. Und erst kürzlich stellte er für den Schweizer Kräuterzuckerlkönig Ricola eine Lagerhalle fertig.

„Ich wundere mich manchmal über das schlechte Image von Lehm“, sagt Martin Rauch, grau melierte André-Heller-Locken, ein Lächeln wie ein Sonnenschein. „In unseren Breitengraden gilt Lehm immer noch als Arme-Leute-Baustoff, doch im Grunde genommen ist es ein großartiges und vielfältiges Material und einer der wichtigsten Baustoffe der Welt.“ Mehr als ein Drittel der Menschheit lebt in Lehmhäusern. Besonders verbreitet ist die Bauweise in Nord- und Zentralafrika, auf der arabischen Halbinsel sowie im Iran. Und dank Martin Rauch, Geschäftsführer des auf Lehmbau spezialisierten Architekturbüros Lehm Ton Erde, nun auch in Vorarlberg und der Schweiz.

„Lehm reguliert die Luftfeuchtigkeit, es gleicht Temperaturschwankungen aus und es absorbiert Gerüche. Hinzu kommt, dass es direkt vor Ort gewonnen wird, oft sogar aus dem Aushubmaterial des Grundstücks, und aufgrund seiner einfachen Low-Tech-Verarbeitung und Langlebigkeit ein Parade-Exempel für Nachhaltigkeit ist.“ Rauch weiß, wovon er spricht. Seit 2008 lebt er mit seiner Familie in einem selbst geplanten und zum Teil selbst errichteten, 130 Quadratmeter großen Stampflehmhaus in Schlins. Und sogar einen Wasserschaden haben er und sein Haus bereits überlebt.

„Das war während des Baus, als das Dach noch nicht vollständig abgedichtet war“, erzählt er. „Tausende Liter Wasser sind damals durch das Haus geronnen. Es war eine Überschwemmung auf drei Stockwerken. Der Versicherungsvertreter meinte, in einem normalen Einfamilienhaus würde er so einen Schaden auf 70.000 bis 80.000 Euro schätzen. Hier allerdings belief sich der Versicherungsschaden auf ein paar tausend Euro.“ Woran das liegt? „Ganz einfach. Lehm kann Feuchtigkeit aufnehmen und solange speichern, bis er sie wieder langsam an den Raum abgegeben hat. Die paar wenigen Schäden haben wir lokal repariert. Den Rest hat die Zeit geheilt.“

Im Gegensatz zu seinem nicht besonders witterungsbeständigen Ruf ist Lehm ein durchaus guter Wasserblocker. Zwar wird er zumeist in heißen und trockenen Regionen angewandt, doch auch hierzulande erweist sich Lehm immer wieder als guter, robuster Baustoff – auch an den Außenwänden. „Lehm hat eine Feuchte von nur sechs bis sieben Prozent und ist damit trockener als Holz“, erklärt Rauch. „Sobald Feuchtigkeit eindringt, quillt der Lehm auf, die Luftporen schließen sich, und der Wassereintritt wird auf diese Weise gestoppt.“

Wichtig sei, dem Lehm keine zusätzlichen chemischen Stoffe beizumengen, warnt der Lehmbauprofi. „Manche Leute erachten es als Verbesserung, die ungebrannte Erde mit Zement anzureichern, aber das ist ein Fehler. Durch die Zugabe von Zement wird das das Material steif, die eigentliche Quellfunktion des Lehms geht verloren, und das Regenwasser kann durch Kapillarwirkung in den Wandaufbau eindringen.“ Der Schaden kann in so einem Falle enorm sein. Wenn schon Lehm, meint Rauch, dann zu 100 Prozent und ohne chemische Alchimie.

Nach unzähligen Einfamilienhäusern, Kulturbauwerken, Gewerbebauten und sakralen Objekten stellte Rauch im März dieses Jahres die Lagerhalle für den Schweizer Kräuterzuckerl-Hersteller Ricola fertig. „Wer hat’s erfunden?“ In diesem Fall Martin Rauch in Zusammenarbeit mit dem weltbekannten Architekturbüro Herzog & de Meuron, auch besser bekannt als die Entwurfsväter des Pekinger Vogelnests. Das „Ricola Kräuterzentrum“ in Laufen bei Basel ist eine archaische, 110 Meter lange, 30 Meter breite und elf Meter hohe Halle mit einer Primärkonstruktion aus Stahlbeton und selbsttragenden Wänden aus Stampflehm.

Der ungebrannte Baustoff ist in diesem Fall mehr als nur ein ästhetischer Wert. Er ist vor allem ein willkommenes Low-Tech-Regulativ für künftig zuckersüße Belange. Rauch: „Nachdem der Lehm ein perfekter Klimaregulator ist, brauchen wir in dieser Lagerhalle keine Be- und keine Entfeuchtungsanlage. Die Luftfeuchtigkeit reguliert sich ganz von selbst.“ Die Ricola-Experten sind glücklich: Je nach Jahreszeit und Witterung beträgt die Luftfeuchte zwischen 50 und 60 Prozent. Ohne Technik und ohne Maschine. Ideale Lagerbedingungen für die Lutschbonbons in spe.

„Stampflehm wird nie wirklich feucht und eignet sich daher vor allem für all jene Räume, wo man Bakterien, Mikroben und Pilzbefall ausschließen möchte“, erklärt Rauch. Es muss nicht gleich eine riesige Kräuterlagerhalle oder ein Einfamilienhaus aus Stampflehm sein. Auch mit Lehmziegeln und Lehmputzen lassen sich physikalisch messbare Verbesserungen erzielen. Schon zwei Zentimeter Lehmputz reichen aus, meint der Experte, um das Raumklima nachhaltig zu verbessern. Die Mehrkosten gegenüber herkömmlicher Bauweise und gegenüber Standardprodukten aus dem Baumarkt liegen bei zehn und 25 Prozent.

Die lehmende Erkenntnis ist nicht neu. In der deutschen Weilburg steht ein sechsgeschoßiges Stampflehmhaus aus dem Jahr 1836. Und in der jemenitischen Stadt Shibam gibt es acht- und neunstöckige Lehmhochhäuser, die bis zu 500 Jahre alt sind. Sie stehen noch immer.

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crinan

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Silvia Jelincic

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