Der Papst hat gestern die Meinungsfreiheit genutzt, um einem französischen Journalisten zu sagen, was er von der Meinungsfreiheit hält. Diese Freiheit, so findet Franziskus, müsse unbedingt in ihre Schranken gewiesen werden. Man dürfe nämlich den Glauben anderer nicht provozieren, nicht beleidigen und sich nicht über ihn lustig machen. Es gebe viele, die schlecht über Religionen sprächen oder, noch schlimmer, sich über sie amüsierten, klagte das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche. „Das heißt, man macht Religion zum Spiel. Sie provozieren, da gibt es eine Grenze.“ Er könne es sogar nachvollziehen, wenn solche Provokationen von Glauben und Religion zu heftigen Reaktionen führten. Um das zu verdeutlichen, nannte der Papst ein Beispiel: „Es stimmt, dass man nicht mit Gewalt reagieren darf, aber wenn Doktor Gasbarri“ – der päpstliche Reisemarschall – „ein Schimpfwort über meine Mutter sagt, dann muss er mit einer Faust rechnen, das ist normal.“

Nun ist ein Fausthieb selbstverständlich etwas anderes als ein Terroranschlag, dennoch ist Franziskus‘ Schlussfolgerung aus der Ermordung der Redakteure und Mitarbeiter von Charlie Hebdo zutiefst befremdlich. Denn wer aus dem blutigen Angriff von Paris allen Ernstes die Konsequenz zieht, dass eine der zentralen Errungenschaften der Aufklärung eingeschränkt werden muss, und sogar ein gewisses Verständnis für die Tat nicht verhehlt, der verdreht Täter und Opfer und kommt nolens volens den abscheulichen Zielen der islamistischen Mörder entgegen. Leider ist der Papst nicht der Einzige, der so denkt – allen „Je suis Charlie“-Bekenntnissen zum Trotz deutet sich in der Debatte über die schrecklichen Ereignisse in der französischen Hauptstadt eine irritierende Neigung zum Roll-back an.

Zwar vergisst kaum jemand, der sich öffentlich äußert, zu sagen, die tödliche Attacke auf die französische Satirezeitschrift sei auch ein Anschlag auf die Meinungs- und die Pressefreiheit gewesen, die es deshalb umso energischer zu verteidigen gelte. Aber nicht wenigen dieser Äußerungen haftet etwas merkwürdig Leidenschaftsloses an, und bei so manchem ist daher die Beteuerung, Charlie zu sein, kaum mehr als eine „hohle Geste“, wie der Blogger Arthur Buckow in einem lesenswerten Essay resümiert: „Gemeint sind jene, die gleich schon im nächsten Augenblick nicht mehr von den Opfern des Massakers sprechen, sondern vor ‚Islamophobie‘ und Rassismus warnen, jene, die Meinungsfreiheit als etwas sehen, mit dem vor allem ‚verantwortungsbewusst‘ umgegangen werden müsse, Zeitungsmacher bis hin zur New York Times also, die keine Mohammed-Karikaturen abdrucken wollen, um nicht ‚religiöse Gefühle‘ zu beleidigen, jene, die schon bei den [islamkritischen] Zeichnungen in Jyllands Posten 2005 eine Grenze überschritten sahen, jene Islamverbandsvertreter beispielsweise, die auf ihre pflichtschuldige Verurteilung des Terrors ein ‚Aber‘ folgen lassen.“

In Deutschland wird von Politikern der Union sogar wieder einmal die Forderung erhoben, den Paragrafen 166 des Strafgesetzbuches zu verschärfen. Dieser Paragraf stellt die „Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen“ unter Strafe – wenn dadurch der „öffentliche Frieden“ gestört wird. Diese Einschränkung wurde 1969 hinzugefügt. Bis dahin war nach dem Strafrecht noch die Verspottung und Verhöhnung des Glaubens und der Religion per se strafbar – weshalb die Erzbistümer permanent Eingaben anfertigten, um Kritiker und Spötter zum Schweigen zu bringen, und damit oft genug auch Recht bekamen. Seit rund 46 Jahren jedoch ist Gotteslästerung erst dann justiziabel, wenn sich Gläubige durch sie derart gekränkt fühlt, dass sie öffentlich randalieren (oder dies zumindest befürchtet wird) und dadurch der „öffentliche Frieden“ gestört wird.

In der Praxis führte die Einschränkung – die nun manche CDU- und CSU-Politiker gerne wieder streichen würden – dazu, dass es kaum noch Verurteilungen wegen Blasphemie auf der Grundlage des Paragrafen 166 gab. Denn diejenigen Christen (an den Islam oder andere Glaubensgemeinschaften dachte man damals allenfalls am Rande), die sich von gotteslästerlichen Karikaturen, Texten oder Aktivitäten gestört fühlten, gingen nicht so weit, ihren Unmut gewaltsam auszuagieren. Gleichzeitig bleibt der Zusatz mit der Störung des „öffentlichen Friedens“ ein Menetekel – und ein strafrechtliches Instrument, um gegen Blasphemiker und andere Kritiker vorzugehen, indem man sie für eine Gefährdung der inneren Sicherheit (mit)verantwortlich macht. In dieser Logik sind nicht nur die Fanatiker, sondern auch die (überlebenden) Redakteure einer Zeitschrift wie Charlie Hebdo zu bestrafen, wenn ihre Kollegen von Islamisten über den Haufen geschossen werden. Das ist einfach absurd, schon weil man so die Opfer unversehens zu (Mit-)Tätern macht.

Dabei müsste es gerade jetzt darum gehen, die Meinungsfreiheit nicht nur pro forma hochzuhalten, sondern wirklich zu stärken, indem man sie konsequent gegen ihre Feinde verteidigt, statt de facto einen Kotau vor ihnen zu vollziehen. Denn diese Freiheit ist gerade nichts Abstraktes, sondern muss immer wieder konkret werden – und dazu gehört es auch, Religionen lächerlich zu machen, zumal dann, wenn diese in ihrer Gewaltsamkeit tatsächlich grotesk sind. „Eine freiheitliche Demokratie braucht Blasphemie“, schreibt Markus Becker in einem Kommentar für Spiegel Online. „Denn Blasphemie stellt Dogmen infrage. Und Dogmen – seien es religiöse oder politische – sind mit ihrem absoluten Wahrheitsanspruch der natürliche Feind des kritischen Denkens.“ In einer säkularen Gesellschaft geht es nicht an, dass ein Schutz „religiöser Gefühle“ reklamiert wird, denn damit wird eine persönliche Weltanschauung für sakrosankt erklärt und über die Vernunft gestellt. Jedes Hinterfragen, jede Kritik, jeder Spott gerät so zum Affront. Das kann und darf nicht sein – erst recht nicht nach dem Massaker von Paris.

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Silvia Jelincic

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