Eine gesamte Bevölkerungsgruppe und deren Geisteshaltung ist zum Stiefkind der politischen Diktion geworden: Die Rede ist von den Bürgerlichen und ihrer Weltanschauung. Zwar gibt es die ehedem klassischen Bürgerlichen im täglichen Leben nach wie vor: Unternehmer, Akademiker wie Anwälte, Richter, Ärzte, Professoren, Lehrer und Apotheker, höhere Beamte und ein Teil der Medienleute und Kreativen stellen traditionellerweise diese Schicht dar.

Im Zeitalter der politkorrekt propagierten Gleichheit ist das „Bürgerliche“ aber verdächtig, Standesdünkel zu begünstigen. Klassenunterschiede werden daher nur mehr indirekt und sublim vermittelt, offiziell steht kaum jemand zu den sehr wohl existierenden Distinktionen zwischen den diversen sozialen Schichten.

Der klassische Bürgerliche ist demzufolge heute kein Vertreter eines achtenswerten Standes mehr, sondern längst vom diffus definierten Mittelstand absorbiert. Diesem werden soziologisch betrachtet etwa 70% aller Leute zugerechnet. Der Aufenthalt dort ist unverfänglich, denn der Mittelstand ist zum Symbolbild der gesellschaftlichen Gleichheit geworden, zumindest will das die offizielle Lesart so. Realiter ist der Mittelstand aber eine sehr bunt zusammengesetzte Schicht mit unterschiedlichsten Menschengruppen und differenzierten Status-Rängen der zu ihm Gehörenden.

Die Einbettung des Bürgerlichen in den Mittelstand wird von den Einen im Sinne der Gleichheit als Erfolg, von den Anderen aber als eine Nivellierung nach unten betrachtet, welche den Verlust von Identität sowie die Hemmung von notwendiger sozialer Elitenbildung hervorbringt. Alles egal - Gleichheit ist jedenfalls das Credo der Demokratie und sie hat Vorrang vor allen anderen Werten.

War früher das politische Bekenntnis, sich als Bürgerlicher zu fühlen, durchaus Anlass für Stolz und Selbstbewusstsein und war das Bürgerliche auch ein großer Anreiz für andere Bevölkerungsschichten, den Aufstieg dorthin zu schaffen, so klingt heute dieselbe Ansage eher verstaubt und gar nicht cool. Ja unter Umständen ist sie sogar anstößig, wenn sie mit der ursprünglichen und lange gültigen Zuordnung des Bürgerlichen zur politischen Rechten verbunden ist. Der Begriff "Rechts" stammt aus der postrevolutionären französischen Nationalversammlung und betraf die Sitzordnung ebendort: Links saßen die Progressiven und die Revolutionäre, rechts die Bürger und der Adel. Rechts zu sein war also von der Französischen Revolution bis 1945 der Inbegriff des Bürgerlichen. Diese Verortung ist aber mittlerweile durch die ubiquitär auftretenden und die veröffentlichte Meinung dominierenden Moralisten aus der politischen Linken zu einer höchst fragwürdigen Eigenschaft erklärt worden, die es immer und überall zu bekämpfen gilt.

Freilich: Gesellschaftliche Grundwerte wie Wirtschaftsliberalität, Freiheit des Einzelnen, Leistungswille, Selbstverantwortung, Pflichtbewusstsein, Intellektualität, Familiensinn, Anstand, kulturelle Orientierung und nicht zuletzt Christlichkeit haben zwar nach wie vor ihre Verfechter, aber diese müssen aus den oben genannten Gründen immer auf der Hut sein: Mit gerümpften Nasen muss man stets rechnen, wenn man sich als Bürgerlicher outet. Ist man gar zu "reaktionär" in seinen Ansichten, dann bläst einem auch gleich mal ein Shitstorm ins Gesicht.

Diese Entwertung des Bürgertums ist für die Gesellschaft als Ganzes schlecht. Bürgerlich sein hieß ja zunächst, selber auf sein Fortkommen in der Gesellschaft zu achten und sich anzustrengen, Ziele zu erreichen. Bürgerlich sein bedeutete weiters, von sich aus eine ausreichende Bildung anzustreben, sich ohne staatliche Unterstützung weiter zu entwickeln, soziale Strukturen und soziales Engagement persönlich zu pflegen und den Staat nur als einen Rahmen zu betrachten, der die Gesetze erlässt, die Einhaltung derselben überwacht und für die innere und äußere Sicherheit sorgt.

Durch die letztlich marxistisch getriggerte Entwicklung des europäischen Wohlfahrtsstaates sind diese bürgerlichen Werte kontinuierlich verdrängt worden. Der Kollektivismus und die ausufernde staatliche Obsorge sowie die Umverteilung haben das auf dem Individuum aufbauende Wertegebäude des Bürgertums über weite Strecken ersetzt. Die Bürger stehen zwar für die soziale Marktwirtschaft, aber das Gleichgewicht derselben ist nicht mehr wirklich gegeben.

Die tendenziell kollektivistische Gesellschaft ist nun der Verantwortungsträger geworden, der Einzelne ist nicht mehr Bürger, sondern nur mehr Staatsbürger und als solcher vom Staate abhängig. Wo einst Eigenverantwortung und Individualität waren, sollen nun staatliche Fürsorge und soziale Verhätschelung walten. Mit rhetorischen Figuren wie etwa jener der immerzu drohenden „Sozialen Kälte“ werden dabei alle geforderten Neuerungen im Sozialstaat gerechtfertigt.

Das Elend, das natürlich immer da ist und das unter den Bedingungen der wachsenden Wohlfahrt laut Aussage vieler Sozialexperten heute sogar zunimmt, wird mit "more of the same" bekämpft, denn die Antwort auf dysfunktionale Sozialstaatsstrukturen heißt nämlich regelhaft, noch mehr soziale Strukturen zu schaffen. Nachfragen, warum jemand sozial bedürftig ist und ob er vielleicht selber etwas an seiner Situation verbessern könnte, gelten nach den offiziellen und oben erwähnten politischen Moralvorstellungen als neoliberales Skandalon der Sozialpolitik. Gerade eben bemerkt man diese Haltung wieder an der allerorten geäußerten Kritik an der ÖVP, weil diese die Mindestsicherung neu, zielgerichteter und besser gestalten will: Vom Auspressen der Armen bis hin zur Unmenschlichkeit reichen die Vorwürfe.

Die Ursache dieses permanenten Aufschreis ist klar. Zuerst und zunächst ist jeder ein Opfer, so will es die Marx`sche Theorie der Viktimisierung. Und nur das Kollektiv kann den Opfern helfen, nie der Einzelne sich selbst. Daher sind das Kollektiv, die staatliche Fürsorge und die Umverteilung das Desiderat allen linksideologischen Denkens. Der Einzelne und der Bürger im traditionellen Sinn kommen in dieser Gedankenwelt nur mehr als misstrauisch beäugte Denkfigur vor, die man sich als Sündenbock neben den ohnehin bösen Unternehme(r)n bereithält, um im Bedarfsfalle seine Empörung ebendort abladen zu können.

Unverzichtbar, ja notwendig ist unter dieser Prämisse die Abgabe von Verantwortung an den Staat bei gleichzeitiger Reduktion von Pflichten des Einzelnen. Dafür gibt es im Gegenzug eine Vermehrung aller Rechtsansprüche für jeden und den Willen zur Gleichheit von allem und jedem.

Trotzdem oder vielmehr gerade deswegen stellen die Werte und Leistungen des Bürgertums nach wie vor jene Essenzen dar, die für den Bestand des Staates und die Entwicklung der Gesellschaft die Grundlage bilden – auch wenn das Bürgerliche derzeit nur als Phantom existiert.

Ohne Leistungswillen des Einzelnen, ohne persönliche Ziele, ohne Eigenverantwortung und Unternehmungsgeist lassen sich in keiner Sozietät der Welt nachhaltige Erfolge erzielen. Wenn nicht eine Mindestanzahl an Bürgern Leistungsbereitschaft und Zielstrebigkeit besitzt, so ist die Gesellschaft als Ganzes zur Degeneration verdammt. Höchste Zeit also, dem Wesen des Bürgerlichen wieder jene Wertschätzung entgegenzubringen, die es verdient.

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