Thüringen-Kärnten: deutsch-österreichische Ausgrenzungspolitiken im Vergleich

Die letzte Landeswahl in Thüringen samt Wahl des Ministerpräsidenten Kemmerich (FDP) und seinem kurz danach von Medien und (Bundes-)Parteien erzwungenen Rücktritt auch und sehr wesentlich wegen des Drucks der Bundesebene von CDU, SPD, etc. ähnelt sehr den Ereignissen in Kärnten rund um die Landtagswahl 1994.

Damals erzielte die SPÖ 37.4%, die FPÖ (damals unter der Führung Jörg Haiders, der verschiedentlich als Archetyp des Rechtspopulisten bezeichnet wurde) 33.3% und die ÖVP 23.8%.

Die Kärntner ÖVP und die Kärntner FPÖ einigten sich damals auf eine Koalition; Christoph Zernatto von der ÖVP sollte Landeshauptmann (was die österreichische Entsprechung zum deutschen Ministerpräsidenten) werden.

Was folgte, war ein Shitstorm in Medien und auf politischer Bundesebene, wo gerade eine rot-schwarze Koalition regierte.

Auch auf Druck der ÖVP-Bundesebene, insbesondere Vizekanzler Busek (ÖVP), löste die Kärntner ÖVP den am Vortag beschlossenen Koalitionsvertrag wieder auf, eigentlich ohne juristischen Grund, man argumentierte zwar mit clausula rebus sic stantibus, aber diese Argumentation war sehr umstritten: dass diese Kärntner ÖVP-FPÖ-Koalition bei Medien und Wiener Bundesregierung, die eine andere Zusammensetzung (nämlich SPÖ-ÖVP) hatte, nicht auf Zustimmung, sondern eher auf Ablehnung stossen würde, müsste eigentlich jedem klar gewesen sein; so gesehen war es keine clausula rebus sic stantibus.

Die weitere Entwicklung in Österreich war wie folgt: der Siegeszug der FPÖ bei Wahlen setzte sich fort, SPÖ und ÖVP verloren zahlreiche Wahlen, die FPÖ überholte bei der Nationalratswahl 1999 die ÖVP knapp; und die ÖVP, getragen von der Furcht, bei Fortsetzung der rot-schwarzen Koalition in der Bedeutungslosigkeit zu versinken, wagte eine ÖVP-FPÖ-Koalition auch auf Bundesebene, um bei der darauf folgenden Nationalratswahl 2002 einen fulminanten Wahlsieg mit 42.3% zu landen nach 26.9% davor.

Der Wikipedia-Artikel für Christof Zernatto verschweigt den Kurzzeitpakt ÖVP-FPÖ.

Aber im Wikipedia-Artikel zur Landtagswahl 1994 ist ein Satz dazu zu finden.

CC / Georg Holzer https://de.wikipedia.org/wiki/Christof_Zernatto#/media/Datei:ChristofZernatto.jpg

Christoph Zernatto (ÖVP), Kemmerich-ähnlicher Kurzzeit-Landeshauptmann einer FPÖ-ÖVP-Koalition in Kärnten, die auf Druck von Medien und rot-schwarzer Bundesregierung wieder aufgelöst werden musste.

Stellt sich nur die Frage, ob in Deutschland mit 26-jähriger Verspätung dieselbe Entwicklung stattfinden wird wie in Österreich: weiterer Aufstieg der AfD, bis eine der beiden heutigen Regierungsparteien in einer Koalition mit der AfD das einzige Mittel sieht, den eigenen Abstieg zur dritt-, viert- oder fünftstärksten Partei zu verhindern ?

Durch Verhaltenweisen wie Ausgrenzung und Cordon Sanitaire bekommen Parteien wie AfD und FPÖ erstens einen Märtyrerbonus und zweitens einen Oppositionsbonus, der darin besteht, z.B. alles versprechen zu können, aber nicht halten zu müssen.

Zudem steigt dadurch oft ihre Beliebtheit bei Protestwählern und -wählerinnen. Somit stellt sich auch anhand des österreichischen Beispiels die Frage, ob derartige Ausgrenzungspolitiken nicht höchst kontraproduktiv sein und nur den angeblichen oder wirklichen rechts-extremen Parteien nutzen könnten, denen sie eigentlich schaden oder die sie eigentlich eindämmen sollen.

1
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

pirandello

pirandello bewertete diesen Eintrag 28.02.2020 17:58:50

1 Kommentare

Mehr von Dieter Knoflach