Über Angestelltenhaftung bei Ärzten, Ingenieuren und Anwälten

Unter "Angestelltenhaftung" verstehe ich in diesem Blog die Haftung eines Arbeitgebers für Fehler seiner Angestellten. (Bitte das Gegenderte immer mitdenken: heute gibt es viele Ärztinnen oder Rechtsanwältinnen mit eigener Praxis, ebenso wie es auch viele weibliche Angestellte gibt, obwohl bei der "Angestellte" und die "Angestellte" gendern irgendwie unnötig ist).

Mein Vater hatte ein Baustatikbüro mit phasenweise 25 Angestellten und zahlte einmal 15 bis 20 Millionen Schilling, was nach heutiger Kaufkraft ca. 6 Millionen Euro wäre, Schadenersatz dafür, dass ein Angestellter von ihm statt einer beauftragten Maschinenhalle ein Bürohalle konzipierte und durchrechnete, die dann auch gebaut wurde und später abgerissen und neugebaut (die Maschinenhalle muss in den verschiedene Stockwerken wesentlich mehr Gewicht tragen, nämlich das der Maschinen und daher bautechnisch völlig anders geplant sein).

Soweit ich weiss, hätte er es auf einen Prozess ankommen lassen können, bei er rein schätzomativ relativ schlechte Chancen zu gewinnen gehabt hätte, außerdem wollte er wohl den damaligen Auftraggeber, einen regional sehr einflussreichen Industriekonzern als Auftraggeber für die Zukunft behalten. Und die mehr oder weniger stillschweigende Zahlung war vielleicht auch besser als ein Prozess, weil sich Gerüchte verbreiteten, sein Büro hätte eine Halle gebaut, die einstürzte.

Eine Versicherung für derartige Fälle, die auch den Konkurs bedeuten können (der Fall übersteigt die 500.000 Euro Schadenersatz für die von einem Rind getötete Touristin rein von der Schadenshöhe weit), wurde erst später eingeführt.

Ich habe weiters einen Prozess anhängig, in dem es um Mitarbeiterhaftung bei einer Rechtsanwaltkanzlei geht, wobei der Fall aber möglicherweise anders gelagert ist insofern, als der Arbeitgeber gesagt hatte, sich mit dem Streitfall intensiv zu beschäftigen.

Und ich hatte in meinem Leben mehrfach ärztliche Schadenersatzfragen oder potenzielle Schadenersatzfragen, in die Angestellte von Ärztepraxen verwickelt waren, mehrfach auch in Hinsicht auf Falscheinstufung von Notfällen (die sofort behandelt werden müssen) als Normalfälle (denen man einen Termin in vier Wochen geben kann).

mein Eindruck ist: während bei Ingenieuren und Anwälten Mitarbeiterhaftung in obigem Sinne gilt, gilt sie bei Ärzten nicht.

Die Gründe sind hauptsächlich vermutlich folgende:

1.) In Österreich sind 98-99% der Bevölkerung gesundheitsversichert, und diese Versicherungen bezahlen oft Schadensfälle, die durch Fehlentscheidungen von Azrtpraxismitarbeitern entstehen.

Allerdings ist das System anders als Versicherungen für Ingenieure, weil bei den Ingenieuren sie selbst die Versicherungen zahlen müssen und daher oft auch einen Anreiz haben, wegen Bonus-Malus-Systemen die innerbetriebelichen Strukturen so zu gestalten, dass Schadensfälle möglichst selten auftreten.

Im Unterschied dazu sind im Gesundheitswesen die Patienten bzw. ihre Arbeitgeber die Versicherungsnehmer, nicht hingegen die Ärzte, sodass bei Ärzten kein vergleichbarer Anreiz besteht, die innerbetrieblichen Strukturen in der Arztpraxis so zu gestalten, dass Fehlentscheidungen von Mitarbeitern möglichst selten auftreten.

2.) Die Schadenhöhen sind unterschiedlich: im Bauwesen entstehen durch Mitarbeiterfehler oft weit größere Schäden, daher wird öfter geklagt und genauer untersucht. Die Auftragergeber sind oft echte Profis, z.B. Konzerne mit großen und professionellen Rechtsabteilungen, die eine Klagschance schnell erkennen. Die Kunden und Auftraggeber im Gesundheitswesen sind aber eher der Otto Normalverbraucher, der nicht viel Ahnung vom recht hat, der keine große Rechtsabteilung hat, etc.

3.) Bei Patienten als Nichtakademikern besteht möglicherweise eine Art Beisshemmung, wegen Fehlern von nicht-akademischen Arztpraxispersonals zu klagen und Klagsdrohungen auszusprechen.

Die Argumente, warum Arbeitgeber für die Fehler ihrer Mitarbeiter haften sollen sind wie folgt:

.) Culpa in elegendo (Schuld im Auswählen): der Arbeitgeber wählt die Mitarbeiter aus, ohne seine Zustimmung kann niemand bei ihm Arbeitnehmer werden, und daher fällt ein Versagen des Mitarbeiters immer auf ihn zurück.

.) mangelhafte Kontrollstrukturen betriebsintern: wenn Betriebe so gestaltet sind, dass Mitarbeiter unkontrolliert und wiederholt Fehler machen können, dann ist das auch eine Teilschuld.

.) mangelhafter Kontrollstrukturen Branchenweit: Ärzte tauschen Informationen über derartige Schadenfälle untereinander aus, sie sind oft Gutachter oder Zeugen in Prozessen, in denen andere Ärzte wegen derartiger Fälle geklagt wurden. Und Ärzte-Zeitschriften verbreiten Nachrichten über ähnliche Fälle. Wenn also mangelhafte Kontrollstrukturen ein branchenweites Phänomen sein sollten, dann gibt das schon zu denken.

.) berufliche und ausbildungsmäßige Sorgfaltspflicht: diese trifft im engeren Sinne in manchen Branchen nur die Arbeitgeber (oft hat nur der Arzt und Arbeitgeber ein Medizinstudium absolviert, vielleicht noch der Vertretungsarzt, aber normale Praxismitarbeiter nicht).

Inwieweit hier MTAs (medizinisch-technische Assistenten) eine Zwischenposition haben, ist mir momentan nicht ganz klar.

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"Hab ich Alles richtig gemacht oder nicht ?"

"Wo bekomme ich fähige Mitarbeiter her ?"

"Kann ich fähige Mitarbeiter überhaupt bezahlen ?"

"Bin ich unmoralisch, weil ich meine Patienten schädige oder schädigen lasse durch unqualifizierte Mitarbeiter, die den Unterschied zwischen Notfall und Normalfall nicht erkennen ?"

Ein nachdenklicher Arzt auf Pixabay

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