Ich habe sekundär in das Buch "Haltung" des zurückgetretenen ÖVP-Bundesparteiobmanns und Kanzlerkandidaten Reinhold Mitterlehner hineingeschaut.

Und alles in Allem scheint sich eine Forderung zu bestätigen, die ich schon vor vielen Jahren erhoben habe, nämlich die beiden größten und hauptstadtnächsten Bundesländer, nämlich Wien und Niederösterreich zu zerlegen in jeweils zwei bis vier Bundesländer: gerade bei Niederösterreich mit seiner vier-Viertel-Struktur (Weinviertel, Waldviertel, etc.) böte sich eine Vierteilung ja geradezu an.

Wien und Niederösterreich haben eine gewisse Tendenz, den Rest von Österreich zu dominieren, und auch der ÖVP-interne Putsch gegen den Oberösterreicher Mitterlehner scheint eine rein Wien-Niederösterreichische Sache gewesen zu sein mit Pröll (NÖ), Sobotka (NÖ) und Kurz (Wien) als Hauptbeteiligten.

EPP https://de.wikipedia.org/wiki/Reinhold_Mitterlehner#/media/File:EPP_Malta_Congress_2017_;_29_March_(32892088694).jpg

Der Oberösterreicher Reinhold Mitterlehner, der als erster ÖVP-Obmann der Geschichte von einer Wien-NÖ-Verschwörung innerparteilich weggeputscht wurde, bevor er eine einzige Chance hatte, bei Wahlen anzutreten und einen Wahlkampf zu führen.

Mitterlehner bringt immer wieder die Abkürzung NVP ins Spiel, was sowohl "Neue Volkspartei" als auch "Niederösterreichische Volkspartei" bedeuten kann. Die Vergleiche zwischen Spindelegger, der erst nach seiner ersten Wahl gestürzt wurde und Mitterlehner, der vor seiner ersten Wahl gestürzt wurde, sind vereinfachend.

Die Verteidiger von Kurz wie z.B. der Tiroler LH Platter bringen die Meinungsumfragewerte ins Spiel, die Kurz ca. 8% besser einstuften als Mitterlehner, allerdings zeigte der erste Wahlgang der Bundespräsidentenwahl, dass Meinungsumfragen auch 10% oder mehr danebenliegen können; damals war Van der Bellen beträchtlich überbewertet und erhielt bei der Wahl je nach Meinungsumfrage um bis zu 11-15% weniger als in den Umfragen.

Zudem ändern sich Meinungsumfragen oft stark, je näher der Wahltag rückt, weil dann der Wahlkampf das Profil der Kandidaten schärft.

Man kann auch annehmen, dass die schlechten Umfragewerte in der späten Phase der Ära Mitterlehner gar nichts oder nur wenig mit Mitterlehner zu tun hatten, sondern mehr damit, dass immer mehr Bürgerinnen und Bürger mitbekamen, dass in innerhalb des ÖVP-Regierungsteams massive Konflikte existierten. Schliesslich verlor Mitterlehner in seiner letzten Phase, in der es zwischen Mitterlehner und Kurz immer mehr kriselte, ca. 9% in den Umfragen.

Alles in Allem wäre ich daher also vorsichtig, Meinungsumfragen für absolut sicher zu halten, auch wegen erstens der oft niedrigen Deklarierungsbereitschaft und der Schwierigkeiten, Änderungen in der Deklarierungsbereitschaft vorherzusagen, und zweitens wegen der Möglichkeit absichtlich falscher Prognosen, um gewisse Ziele zu erreichen (man sollte auch nicht vergessen, dass die frühere ÖVP-Ministerin Sophie Karmasin mit besonderen Beziehungen in die Meinungsforscher-Szene auch Wienerin ist).

http://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bevoelkerung/bevoelkerungsstruktur/bevoelkerung_nach_staatsangehoerigkeit_geburtsland/index.html

Wien: 1.898 Mio. Einwohner

NÖ: 1.678 Mio.

OÖ: 1.482 Mio.

Stmk: 1.243 Mio.

Tirol: 0.754 Mio.

Ktn: 0.561 Mio.

Sbg: 0.555 Mio.

Vlbg: 0.394 Mio.

Bgld: 0.293 Mio.

Wien und NÖ machen zusammen ca. 40% der Bevölkerung Österreichs aus, bestimmen aber in viel höherem Maße die Politik Österreichs, auch deswegen, weil sie der Hauptstadt am nächsten sind, weil wiener und niederösterreichische Politiker den kürzesten Weg in den Nationalrat haben, weil Wiener und Niederösterreicher den besten Zugang zu den Wiener Medien haben, etc.

Durch die Vierteilung der beiden größten Bundesländer würde die Standardabweichung sich fast halbieren: sie sänke von 599.330 auf 332.447. Das hiesse, die Landeshauptleute würde erheblich gleicher; der Unterschied zwischen dem LH, der die meisten Bürger und -innen vertritt, zu dem, der die wenigsten vertritt, würde stark sinken. Und damit würden auch Dominanzeffekte verschwinden, wie beispielsweise derjenige, dass der Wiener LH/Bgm. der Bundes-SPÖ vorschreiben kann, dass sie einen Ausschluss jeder Koalition mit der FPÖ auf jeder Ebene beschliessen muss, auch wenn die SPÖ-LO des kleinen Burgenlands damit absolut unzufrieden ist und diesen Beschluss bei nächster Notwendigkeit (um nicht von der ÖVP erpressbar zu sein) bricht.

Die Struktur Niederösterreichs mit den vier Vierteln (Waldviertel, Wineviertel, Mostviertel, Industrieviertel) legt eine Teilung in vier Bundesländer bereits nahe. Alle diese vier Bundesländer wären bevölkerungsreicher als Burgenland oder Vorarlberg, aber gleichzeitig bevölkerungsärmer als Steiermark oder Oberösterreich. Der sehr großen Unterschiede zwischen großen Bundesländern und kleinen würde damit verringert.

Die Zahl der Bundesländer stiege durch eine Vierteilung von Wien und Niederösterreich von 9 auf 15. Damit würde sich Österreich der Anzahl der Bundesländer in Deutschland (16) oder der Kantone in der Schweiz (26) annähern.

Siehe auch:

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/unabhaengigkeit-westoesterreichs-los-von-wien-50477

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/zum-gebrochenen-spoe-beschluss-auf-keiner-ebene-mit-der-fpoe-zu-koalieren-23276

https://diepresse.com/home/innenpolitik/5613230/Neues-Buch_Mitterlehners-Abrechnung-mit-den-Tuerkisen

https://www.thalia.at/shop/home/artikeldetails/ID140713064.html

https://derstandard.at/2000101541001/Zeit-fuer-Veraenderung-in-Oesterreich

https://kurier.at/politik/inland/mitterlehner-djangos-spaete-rache/400468543

Zur "Meinungsumfragendiktatur" schrieb ich vor ca. 2 Jahren einen Blog, der heute nach Mitterlehners Enthüllungen über ÖVP-interne Abläufe in manchen Punkten widerlegt erscheint. So gesehen wäre es besser gewesen, wenn Mitterlehner schneller mit seinen Informationen an die Öffentlichkeit gegangen wäre; aber das Argument, dass dies bei Wahlen der ÖVP geschadet hätte, hat natürlich was für sich:

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/oesterreich-die-sachpolitikunfaehige-meinungsumfragendiktatur-35221

Hier offenbart sich, wie stark innerparteiliche Wahrnehmung und außerparteliche Wahrnehmung auseinanderklaffen: zahlreiche ÖVP-Funktionäre kritisieren, dass Mitterlehner zuviel veröffentlichte und sich parteischädigend verhielt, während viele Nicht-ÖVP-Funktionäre kritisieren, dass Mitterlehner so spät veröffentlichte, weshalb sie ein faslches Bild von der Lage hatten, bzw. haben mussten.

Dass Mitterlehner möglich etwas verschweigt und nur kryptische Andeutungen macht, habe ich richtig eingeschätzt, aber was hinter den Kulissen ablief, erriet ich nicht.

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