Liebes Tagebuch,
eigentlich wollte ich ja heute eine Geschichte über Pianisten zum Besten geben (mach ich vielleicht noch, aber später), aber nach letzter Nacht scheint es mir, als sollte eine andere, aktuellere Story erzählt werden.
Ich frage mich seit ca. 3 Uhr heute morgen, was wohl aus mir geworden wäre, wenn ich vor 34 Jahren die vermiefte Provizialität Österreichs hinter mir gelassen hätte und nach Großbritannien oder die USA gegangen wäre. Wahrscheinlich würde ich längst als Produzent bei einem Fernsehsender arbeiten, als SitCom-Autor Charly Sheen Sätze in den Mund legen oder als Drehbuchautor auf eine Oscar-Nomminierung warten. Aber da damals, 1983, der "Versorgungsgedanken" noch allgemein präsent war (O-Ton Eltern: "Du musst angemeldet sein!"), stolperte ich in eine Arbeitswelt, die mich 28 Jahre lang ausbeutete und dann, als mein Körper w.o. gab, ausspuckte wie eine faule Kirsche. Ich weiß schon länger, dass ich meinen Sohn, wenn er seine Ausbildung abgeschlossen hat, aus Österreich hinausjagen muss. Dieses Land kann es einfach nicht.
Social Media sind eine feine Sache. Man lernt Menschen kennen, mit denen man noch vor 10 Jahren wahrscheinlich niemals in Kontakt gekommen wäre. Und das ist auch der Auslöses meines morgendlichen Frustes: es hätte alles so viel anders sein können.
Beim abendlichen Check meines Twitter stolperte ich über einen Tweet einer jungen Dame, die nicht nur den Vorzug hat, aus Großbritannien zu stammen, sondern die auch "Americas next Topmodel" gewonnen hat. Aus Gründen, die ich hier nicht vertiefen kann, folge ich dieser quirrligen, witzigen, intelligenten und auch attraktiven jungen Dame schon seit einiger Zeit auf Twitter und ich frage mich immer, warum eigentlich Österreich sowas nicht zustande bringt. Na, egal. Wir haben ja Weichselbraun & Co, das muss reichen....
Jedenfalls bat sie in ihrem Tweet um Anregungen für eine neue Show. Ein paar Dinge fielen mir spontan ein und ich twitterte. Normalerweise bekommt man ja von solchen Zelebritäten kein Feedback, doch schon kurze Zeit später wurde ich von ihr eingeladen, um Mitternacht unserer Zeit in einen Chatroom zu kommen, da sie meine Ideen "very amusing" fand.
Was folgte war ein äußerst amüsanter Chat mit ihr und ihrer Produzentin, an dem auch noch andere Ideenlieferanten beteiligt waren. Mein kreatives Hirn lief auf Hochtouren, es war wieder so wie vor meinem Absturz. Unsere Unterhaltung gipfelte nach 2 Uhr morgens in ihrer Frage, ob wir uns in NY nicht einmal treffen könnten, da sie einige meiner Ideen wirklich gut fände. Zu meinem Bedauern musste ich ihr dann mitteilen, dass ich 4.226 km von ihr entfernt bin und das österreichische AMS Flugreisen leider nicht finanziert. Ich hätte mir, wie wir in Kärnten sagen, in den Allerwertesten beißen können.
Doch schon der morgendliche Gang zum Postkasten holte mich wieder auf den Boden der Realtiät zurück. Bewerbung Nr. 48, wieder eine standardisierte Absage. Mit über 50 kriegt man in österreichs Arbeitswelt keinen Fuß mehr auf den Boden, schon garnicht in einem kreativen Sektor. Die Standardabsage dafür lautet: "Wir haben für unser junges, kreatives Team eine andere Auswahl… blabla." Heißt im Klartext: Schleich Dich, was willst Du alter, teurer Typ in unserem jungen, ausbeutbarem, personalkostengünstigem Team. Andere Begründungen, die mir schon passiert sind, waren: "Leider glauben wir, dass Sie die ausgeschriebene Stelle unterfordern würde…" (will heißen, das Pensum, Alter, dass wir von Dir erwarten, schaffst Du mit Deinen 51 nicht mehr) oder "Ihre Ausbildungsausrichtung entspricht nicht ganz den Vorgaben" (will in dem Fall heißen, ich hatte nicht das richtige Parteibuch, war nicht richtig 'ausgerichtet';). Glanzstück war allerdings die Bewerbung bei einem Unternehmen, bei dem eine Bekannte im Personalbereich tätig ist. Ich bekam eine Absage und fragte im Rahmen eines privaten Treffens nach, was da wirklich gelaufen war. Ihre Antwort machte selbst mich sprachlos: "Weißt Du, Jonny, Du wärst genau der Richtige für den Job gewesen. Du hattest die Erfahrung und das Know-How dafür. Aber unser Chef sagte, er möchte auf dieser Position nur etwas langbeinig Blondes sehen…"