Eines der interessantesten und persönlich wertvollsten Projekte meiner Zeit in der Bank war der Musikwettbewerb, den ich organisieren durfte. Nicht nur, daß ich Kontakte in die Musikwelt knüpfen konnte und viele prominente Künstler kennenlernen durfte, sind es vor allem die vielen freundschaftlichen weltweiten Kontakte zu den damaligen Kandidaten, die auch heute noch bestehen und die ich dank Social Media auch pflegen kann. Einige der jungen Leute sind heute gefeierte Stars und das macht dann schon ein bisserl stolz.
Wenn es eine Gruppe von Menschen gibt, die ich besonders bewundere, dann sind es Pianisten. Sie vollbringen gigantische Geistesleistungen, wenn sie komplexe Musikstücke auswendig und technisch richtig zur Gehör bringen. Welche Mechanismen dabei im Gehirn ablaufen, ist mir nicht ganz klar - den Streß hatte ich jedenfalls.
Bei einem Pianistenwettbewerb stand die Bekanntgabe der Finalisten an. Alle waren da: die Herren Vorstände, Vertreter des Trägervereins, die prominenten Juroren und Frank "The Voice" Hoffmann, der die Moderation der Bekanntgabe übernehmen sollte.
Wir hatten die 10 Hauptrundenteilnehmer (aus denen dann 5 Finalisten werden sollten) schon 20 Minuten vor dem Termin eingesammelt und sie eindringlich und genau instruiert, wie alles ablaufen würde. Da es ein schöner Tag war, sollte die Bekanntgabe am Ufer des Wörthersees, in Cap Wörth, stattfinden.
Mit meiner Kollegin trieben wir die kleine Herde dann vom Haupthaus an den See. Dort angekommen zählte ich die Häupter meiner Lieben und mußte feststellen - einer fehlte. Was ein Mirakel war. Die Strecke, die wir zurückgelegt hatten war 100 m lang und wir konnten uns nicht erklären, wohin der junge Mann verschwunden war.
Die WC-Erklärung war falsch, da er dort nicht war. Zelebritäten und Jury wurden langsam nervös ("warten" und „Geduld“ ist für diese Personengruppe nicht wirklich eine Option) und deckten uns mit leicht schnippischen Kommentaren ein, während wir hektisch das doch nicht kleine Gelände von Cap Wörth absuchten. Vergeblich. Der junge Mann war verschwunden.
Die Bekanntgabe fand dann ohne ihn statt; er war sogar einer der Finalisten.
Zwei Stunden (!) später stand er auf einmal bei uns im Büro und fragte, wann es denn mit der Bekanntgabe der Finalisten los ginge. Es sei ihm beim Rausgehen aus dem Haus eingefallen, daß er noch seine Fahrkarte für die Heimreise beim Bahnhof kaufen mußte, und das habe er schnell erledigt. Der Bahnhof liegt ca. 4,5 km entfernt......
Nach der Pleite von Cap Wörth war ich äußerst sensibel, wenn es um Pianisten ging. Als derselbe junge Mann - er hatte den Wettbewerb schlußendlich sogar gewonnen - ein halbes Jahr später zu einem Klavierkonzert mit Orchester wieder nach Kärnten kam, war ich vorgewarnt.
Das Konzert sollte im Stift St.Georgen am Längsee stattfinden und ich stellte - aus Erfahrung klug geworden - eine junge Kollegin als "Bewacherin" ab. Ihr Auftrag war, von dem Moment an, in dem er das Stift betrat bis nach dem Konzert an ihm zu kleben wie eine Klette. Theoretisch.
Sein Auftritt war im 2. Teil vorgesehen und die Pause neigte sich ihrem Ende zu. Publikum war auf den Plätzen, die Musiker des Orchesters bereit.
Mir schwante Unheil, als ich meine junge Kollegin auf mich losstürmen sah. "Du, er ist weg......." - "Wie - weg?" - "Ich mußte auf die Toilette, und als ich wieder rauskam war er - weg!"
Ich informierte den Dirigenten und dann machten wir uns auf die Suche nach dem Künstler. Das Stift St. Georgen ist eine weitläufige Anlage, und wir hasteten durch die dunklen Gänge, öffneten Türen, riefen leise seinen Namen.
Ganz am anderen Ende des Hauses dann hörten wir leise Klaviermusik. Wir gingen den Tönen nach und fanden unseren Pianisten in einer Art Musikzimmer, auf einem schönen alten Klavier spielend.
Ich unterbrach ihn und meinte nur: "Du, das Konzert......"
Er sah mich mit großen Augen an. "Welches Konzert?"
Dann schien es ihm wieder einzufallen. "Ach ja. Wann geht es los?"
An dem Abend habe ich, glaube ich, zwei Bier mehr getrunken...