Das Wetter ist schön. Der Herbst kündigt sich an und nimmt dem Sommer seine unangenehme Intensität. 24 Grad motivieren mich zu einer Tour mit dem Rad durch den Wienerwald. Jubiläumswarte, Kreuzeichenwiese, beim Schottenhof über die Straße, steil durch den Wald, über die Sophienalpe zur Mostalm, runter nach Mauerbach, beim Gedenkwald wieder hinauf und über den Schottenhof zurück nach Hause. Ich bin schon etwa eineinhalb Stunden unterwegs. Vom breiten, geschotterten Waldweg biege ich in die schmale Öffnung zwischen den Bäumen. Jetzt geht es steil den Hang hinunter. Unten sehe ich zwei Menschen. Ein Mann und eine Frau. Er winkt mir anzuhalten. Ich bleib stehen. Beide grüßen mich freundlich. Er hält eine Wanderkarte in der Hand. Die beiden sind mir auf den ersten Blick sympathisch. Er trägt einen Schlapphut, wie ein alter Trapper. Darunter hängen seine schneeweißen Haare bis zu den Schultern. Auch der Bart ist weiß. Er stützt sich auf einen Stock.

Ich werde im Gespräch erfahren, dass der Mann 75 Jahre alt ist. Seine Gefährtin – wahrscheinlich seine Frau – ist sehr zart, und trägt ein lustiges Kapperl mit einem kleinen Schirm. Sie zeigen mir die Karte und fragen, wo denn der Weg beginnt, auf dem man den Kolpeterberg umrunden kann. Ich hab meine Lesebrille – die brauche ich zu meinem Leidwesen – aber nicht bei mir. Der Mann reicht mir seine. Ich bemühe mich, mich auf der Karte zurecht zu finden. Ich verwende zum Navigieren mein Smartphone und bin mit Karten nicht mehr so vertraut. Letztlich kann ich aber doch eine Auskunft erteilen, die die Beiden nicht ins eigene Verderben schicken sollte. Ich erwähne aber schon, dass der Weg ein langer ist. Ganz so gut zu Fuß scheint mir, besonders er, nicht mehr zu sein. Er meint fröhlich, dass er das schon schaffen würde. Dann, weiter: „Wissen Sie, wir fühlen uns hier im Wald so wohl. Wir kommen aus der Stadt, aus dem 8. Bezirk. Die letzten Tage sind wir hier unterwegs. Wir haben nur nette Menschen getroffen. Wir fühlen uns hier sehr sicher.“

Ich bin etwas überrascht. Es gibt in Wien bereits einige „Brennpunkte“, die man als älterer Mensch oder alleine als Frau eher meiden sollte. Gut, das ist womöglich ein Klischee. Auch viele der meerschweinchenartigen einheimischen Männer sollten wissen, wo sie gerade unterwegs sind, wenn sie nicht vorhaben, sich in die Riege der Einzelfälle einzureihen.

Aber gerade der 8. Bezirk ist dafür nicht so bekannt. Eher studentisches Milieu. Also mehr ein Biotop für bourgeouise Kinder, die sooo gerne bodenständig, naturverbunden (urban gardening, nachhaltig, biologisch) und proletarisch wären. Jetzt nicht so, wie die Lumpenproletarier, die Gabalier hören, all inclusive urlauben, Pilcher lesen und falsch wählen. Nein, so wie die, die sie sich zusammenphantasieren. Die, die noch keiner je gesehen hat, aber Bobo-Alf und Bobo-Agnes wissen, dass es sie geben muss. Allerdings vermuten sie sie gegenwärtig eher in anderen Weltgegenden. In Afghanistan soll es super Prolos geben. So richtig wie sich Söhnchen und Püppi aus gutem Hause das vorstellen. Das einheimische Pack hat sie schon arg enttäuscht. Jedenfalls frage ich, all das bedenkend, nach: „Wieso? Fühlen Sie sich in der Josefstadt denn unsicher? Ich dachte, dort kann man halbwegs sicher leben.“

Der Mann leitet ein: „Wissen sie, ich hab eigentlich nichts gegen die Orientalen. Wirklich nicht. Aber wenn sie einem in der Gruppe entgegen kommen, dann sind sie oft sehr aggressiv.“ Er hat nicht genau den Terminus „aggressiv“ verwendet aber mir fällt um die Burg nicht ein, wie er das Verhalten bezeichnet hat – auch „martialisch“ hat er nicht gesagt. Aber irgendwas in der Preisklasse. Ich war noch ganz verblüfft, weil er die Leute als „Orientale“ bezeichnet hat. Ungewöhnlich. Wenigstens für meine Vorstadtohren.

Was nicht ungewöhnlich ist ist, dass jemand, der ein völlig berechtigtes Anliegen hat zunächst voraus schicken muss, dass er eh nicht… Da werd ich gleich völlig unrund: „Sie brauchen mir nicht erklären, dass Sie nicht an sich xenophob sind. Sie haben ein verdammtes Recht darauf, sich in Ihrer Heimat sicher zu fühlen.“ Er meint, dass er ja keine richtige Angst habe, aber sich doch unsicher fühle. Die Frau wirft ein: „Auf die Strasse gehen wir bei Dunkelheit aber nicht. Auch viele andere alte Leute nicht.“ Sie kichert ihren Mann an: „Ja, da gehören wir jetzt auch schon dazu.“

Ich bekomme langsam einen erhöhten Blutdruck. Zwei zuckersüße ältere Menschen. Er lebt schon ewig in der Gegend. Ist am Hamerlingplatz in die HAK gegangen. Da war ich auch ein unerfreuliches Jahr verpflichtet. Und jetzt traun sich die bei Dunkelheit nicht auf die Strasse.

Und wie sie mit sich kämpfen, weil sie sich im Verdacht haben etwas zu empfinden, was sie nicht zu empfinden haben. Es zu formulieren ist da schon die gefährliche Ausbaustufe.

Sie wirken beide recht kultiviert. Gut, das ist man für mich bald einmal - ich bin in Ottakring aufgewachsen. Aber irgendwie könnte ich ihn für einen Künstler halten. Sie wäre dann wohl seine Muse. Wenn die beiden mit ihrem Vortrag an den richtigen Alternativdillo geraten, können sie sich zunächst einmal eineinhalb Stunden lang vom Dritten Reich distanzieren. Und von Adolfs Schäferhund „Blondi“.

Ich bin mir ganz sicher, dass die überwiegende Mehrheit jener, die gegenwärtig als „Rechtsradikale“ denunziert werden, nie in diesen politisierten Kategorien gedacht haben.

Die wählen jetzt F oder AFD, weil die ihre Probleme thematisiert haben. Etwa 99 Prozent ausländischer Kinder in den Vorstadtschulen – den Leuten ist's scheissegal, ob einige davon einen österreichischen (deutschen Pass haben). Wer sich völlig fremd verhält, der ist ein Fremder. Ganz einfach. Ganz ohne Ideologie. Und 99 Prozent Fremde überfremden. Ist, solches zu glauben, rechts? Ach, ist das so? Nun, für die Leute ist`s egal. Sie ärgern sich über einen Missstand. Aggressive Jugendbanden - fremde aggressive Jugendbanden – in den Parks. Schiessereien auf der Ottakringer Strasse, Messerstechereien und Prügeleien. Beteiligte? Viel zu oft Fremde. Eine Bewertung ganz ohne „Rechts“. Das interessierte die Leute so gar nicht.

Die hat`s gejuckt, und von der Politik hatten sie erwartet gekratzt zu werden. Rechts, Links? Mumpitz. Das war die Spielwiese der halbintellektuellen Nasenbohrer. Der archetypische Grünwähler wusste sofort was es geschlagen hat: Die Hitlersache! Ja, das ist sein Thema. Das macht ihn „gut“. Es hebt ihn ab von den Dummen. Den Unreflektierten. Den Bösen. Und das lässt er sich nicht nehmen. Schließlich gründet sein ganzes Selbst auf dieser Unterteilung. Er hat es begriffen: „Nie mehr wieder!“ Da gibt es keinen Widerspruch. Na bitte!

Eine Antwort auf eine Frage, die keiner gestellt hat: „Nie mehr wieder!“

Mir geht dieses, zur Floskel vergewaltigte, Glaubensbekenntnis schon gehörig auf den Zeiger. Darf es das? Na, auch wurscht.

Ich sehe die zwei netten Leutln. Ich sehe Angst; „Unsicherheit“ sagt er, weil er nicht ängstlich sein will. In ihrer Heimat sind sie fremd geworden. An den Rand gedrängt. Wie mag es den Leuten im 15. Bezirk gehen? In der „lebenswertesten Stadt der Welt“.

Und, was kann man ihnen sagen? „Das ist ja nicht so schlimm“ wäre eine dicke Lüge. Es ist zehnmal schlimmer. „Es wird schon“ könnte man versuchen. Glaub ich das? Ich weiß nicht recht. Wir haben Zuwanderergruppen im Land, die sich seit drei Generationen nicht integrieren. Im Gegenteil. Sie entfernen sich zunehmend von allem, was eine demokratische, westliche Welt ausmacht. Sehen Sie, ein typisches Alternativzumpferl würd mich jetzt fragen, was denn das so wäre; so ein westlicher Wert. Er würde es für ziemlich ausgekocht halten so zu belegen, dass wir in einer derart heterogenen Gesellschaft leben, dass davon doch gar nicht mehr gesprochen werden könne. Mir fällt dann Ehrenmord, Genitalverstümmelung, der Koran, der Terror der letzten Jahre, Erdogan, die österreichischen Türken die ihn supporten und die Scharia als Rechtsnorm implementieren wollen sowie ein recht unverhohlener Antisemitismus ein.

Also ich bin nicht sehr optimistisch. Wir hatten, lange vor 2015, ein ungelöstes Problem. Parallelgesellschaften die jeder sehen konnte, aber keiner sehen durfte. Kein Plan außer kräftig wegzuschauen. Dann die Auflösung der Grenzen und die unkontrollierte Flutung unserer Heimat mit Fremden. Wieder mit genau diesen Fremden, die es auch in der Urenkel-Generation noch sein werden. Nun sollen gegenwärtig die Bürger beruhigt werden: „Es kommen jetzt eh schon viel weniger!“. Und was ist mit denen die schon da sind? Da kommen noch immer welche ins Land? Nämlich solche, die nicht kommen müssten. Weil es Wirtschaftsflüchtlinge sind, die über 27 sichere Drittstaaten gekommen sind, bevor sie im österreichischen, schwedischen und deutschen Sozialnetz andocken. „Seid`s jetzt komplett deppat worden“ denkt sich der Hackler aus 1150.

Und wenn weiter auf ihn vergessen wird, dann wird er sich wehren müssen. Ich bin froh, dass es so aussieht, als ob das in Österreich durch Wahlen möglich geworden wäre. Ohne, dass ich jetzt so wahnsinnig auf die F oder den Kurz stehe. Aber die Themen der Leut stehen auf der täglichen Agenda. Gut so.

Wäre das nicht der Fall, dann gäbe es zwei Möglichkeiten: Man könnte resignieren und sich selbst aufgeben. Für kinderlose, ältere Menschen mag das sogar eine Möglichkeit sein. Will man das nicht, dann wird man sich andere Strategien überlegen müssen. Sieht man sich einer zunehmenden Zensur, einer Gleichschaltung der Medien und einem Ignorieren des Bürgerwillens ausgesetzt, wird es schwierig. Haben Messermorde an Bürgern plötzlich nur mehr „regionale Bedeutung“, wird verharmlost und unter den Teppich gekehrt, dann „ist Recht Unrecht und Widerstand Pflicht“ – um eine ausgelutschte Phrase zu verwenden.

Und dieser Widerstand kann verschiedene Gestalten annehmen. Es könnten Allianzen geschlossen werden, die man lieber nicht schließen würde. Die Wut mag sich unkontrolliert Bahn brechen. All das wäre dann als Reaktion zu verstehen. Auf ignorante Überheblichkeit. Auf ein Vergessen auf unsere Schwächsten. Speziell die „Linke“ hat sich hier schuldig gemacht. Vertreten wurden „urban, progressiv, hipp und modern“, oder was sich dafür hält. Plus die verdienten Funktionäre aus den eigenen Reihen. Die Verkäuferin im Supermarkt ist denen sowas von am Arsch vorbei gegangen. Der Maurer Sigi oder den Supercoolen aus der Sektion 8, der SP-Wien. Die faseln von einer bunten Gesellschaft und sind dafür verantwortlich, dass sich das nette Paar in der eigenen Heimat unsicher fühlt.

Fuck! Ich wollt doch nur radlfahren und mich nicht aufregen. Ich lenke das Gespräch auf was Erfreulicheres: auf den schlechten Fuß des Mannes und auf meinen Ischias.

Er schreibt mir den Namen einer Salbe auf einen Zettel „Flexiseq“. Die hat ihm sehr geholfen.

Wir verabschieden uns. Vielleicht treffen wir uns mal wieder. Ich hoffe, die beiden schaffen die große Runde um den Kolpeterberg. Ich wünsch mir auch, dass sie sich wieder wohl fühlen können, in Ihrer Heimat. Ich fürcht aber, dass sich das für sie nicht mehr ausgehen wird.

jplenio/pixabay

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