Dem Volk sei auf's Maul geschaut! Da bin ich doch tatsächlich über einen Artikel von Juliana Okropiridse gestolpert in dem sie ein Bedingungsloses Grundeinkommen fordert - und sofort werden Stimmen laut, die dahinter ein Erwachen des Kommunismus orten. Oder solche, die sie in selbstentlarvender Weise auf ihr Alter, ihre Parteizugehörigkeit und auf ihr Studentenleben reduzieren, anstatt sich mit der Materie auseinanderzusetzen. Immerhin gibt es durchaus sehr prominente Vertreter des BGE, etwa der ehemalige dm-Chef Prof. Götz W. Werner oder der Philosoph Richard D. Precht, um nur zwei zu nennen. Wer mit Frau Okropiridses Argumentation ein Problem hat, sollte sich mit Aussagen von diesen Herren auseinandersetzen - oder nachfolgenden Text lesen:

Was Befürworter des BGE eint ist ihr Menschenbild: Während die Gegnerschaft von "dummen, faulen" Bürgern ausgeht, ist ihnen klar, dass ein Mensch gar nicht anders kann, als zu arbeiten. Das Experiment kann jeder mit sich selbst versuchen - wer es schafft, ein halbes Jahr nichts zu arbeiten muss zu einer besonderen Sorte Mensch gehören; die meisten geben schon nach wenigen Tagen auf. Arbeit liegt uns allen nämlich im Blut! Dabei müssen wir den Begriff "Arbeit" glatt neu definieren: Arbeit ist nicht das, wofür man bezahlt bekommt, sondern jede Beschäftigung die die Verbesserung einer Situation oder das Entstehen von Kultur nach sich zieht. Eine Mutter die ihr Kind großzieht arbeitet auch! Wer sich ein neues gesellschaftliches Konzept überlegt verrichtet geistige Arbeit - das wird nicht bezahlt; die vorwiegend geistige Arbeit eines Fußballtrainers dagegen schon aus einem kulturellen Selbstverständnis heraus. Wer mir in meinem Bild von Arbeit widersprechen will, soll erklären können, worin der Mehrwert für die Gesellschaft besteht, wenn wir ein Beamtenheer, unzählige Werbeagenturen und Callcenterbüros [ich könnte lange weiter aufzählen] unterhalten - da sind sogar die Erzeugnisse des Hermann Nitsch wertvoller als alles zusammen was ein Großteil dieser Menschen beruflich zustande bringt. Ich spreche nicht nur von Millionen von quasi vergeudeten Lebensstunden, sondern auch von massenhaft verschwendeten Potenzialen. Solche himmelschreienden Misstände gehören einfach behoben, ohne wenn und aber.

Nein, das Menschenbild von uns BGE-Befürwortern ist begründeterweise ein grundpositives: Das Rosenthal-Experiment bestätigte, was Erwin Wagenhofer auch in seinem Film Alphabet zum Ausdruck brachte, nämlich dass alle kleinen Menschlein, alle Kinder, einen sagenhaften Wissensdurst haben; einen gewaltigen Antrieb die Welt verstehen zu lernen. Wer es schafft, diesen Antrieb ein Leben lang aufrecht zu erhalten kann sich äußerst glücklich schätzen - ich für meinen Teil habe dieses Kind in mir nie zur Ruhe gestellt. Das Problem ist, dass schon unser leidiges Bildungssystem für viel Frust sorgt und damit diesen Trieb abstellt. Das Rosenthal-Experiment zeigte im Kern, dass wir alle viel mehr sein könnten, wenn es uns unser Umfeld bloß zutrauen würde. Niemand, absolut niemand kommt unter normalen Bedingungen bereits dumm auf die Welt! Die "Dummen und Faulen" werden erst dazu gemacht! Hauptverantwortlich dafür ist deren Umfeld. Wer mir glaubhaft vermitteln kann, dass unsere Welt nicht schon an allen möglichen Ecken und Enden krankt, darf diese These in Frage stellen - ansonsten muss er aber folgendes schlucken: Könnten [Konjunktiv!] wir alle Kinder ideal aufziehen, so gäbe es keinen einzigen "Dummen" oder "Faulen"!

Und um die Sache mit dem Geld abzuklären: Arbeit diente in ihrem Ursprung dem Zweck, der Gesellschaft ein Überleben zu ermöglichen. Deshalb waren vor der industriellen Revolution noch 70% und mehr in der Landwirtschaft (man spricht auch vom "Primären Wirtschaftssektor";) beschäftigt. Mit dem Maschinenzeitalter entstand nach und nach das Proletariat - nun waren die Fabriksarbeiter in der Mehrheit, der sogenannte Sekundäre Wirtschaftssektor. Beide Sektoren schaffen Geld, quasi aus dem Nichts. Die Energie (und das Geld), das in den Agrarsektor fließt amortisiert sich durch die entstehenden Naturprodukte [wer meinen Artikel "Meine göttlichen Gedanken!" kennt, weiß, sie werden "von der Sonne produziert"]. Auch ist es der Sekundäre Wirtschaftssektor, der einem Klumpen Rohstoff erst seinen Wert verleiht, etwa, wenn Erdöl zu Plastik und dann zu einem Smartphone wird. Es entstehen Werte!

Gegenwärtig werden in beiden Bereichen äußerst wenige Leute gebraucht - die Maschinen übernehmen langsam aber sehr sicher alles, was repetitiv ist. Also alles. Bis auf Facharbeiter wird es keinen Bedarf an Arbeitern geben. An dieser Stelle wird es Zeit für den Tertiären Wirtschaftssektor, den Dienstleistungssektor. Die Leute drängen sich geradezu in Berufe in diesem Bereich - alle westlichen Nationen erleben den unaufhaltsamen Trend, dass die Mehrheit der Bevölkerung diese Berufe ausübt. Dabei muss man so ehrlich sein, festzustellen, dass der Bedarf irgendwann gestillt ist. Dies wird der Moment sein, an dem bestens ausgebildete und qualifizierte Menschen vor einer unsicheren Existenz stehen. Es werden nicht wenige sein, so viel ist sicher. Falls wir bis dahin nicht ein tragfähiges Gesellschaftsmodell zur Verfügung haben, etwa durch ein BGE ermöglicht, wird es zu großen sozialen Unruhen kommen. Wer das will soll noch länger gegen das BGE argumentieren, denn ohne es kommt diese Situation mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Und um dem Traum vom Dienstleisterstaat endgültig die Fassade zu nehmen: Diese Berufe schaffen keinen Wert! Mit ihnen wird unser BIP nie effektiv steigen, da alles was sie finanziell (nicht gesellschaftlich!) bewirken eine >reine Umverteilung< von Geld ist, das vorher durch das Erzeugen eines Produktes (aus dem Primären oder Sekundären Sektor) enstanden ist. Der Dienstleisterstaat, auf den wir durch Automatisierung und Rationalisierung unweigerlich zusteuern ist finanztechnisch gesehen dasselbe, wie ein Staat der das BGE eingeführt hat. Niemand soll also fragen "Woher nehmen wir das Geld für ein BGE?".

Und um es zu guter Letzt noch deutlicher zu vermitteln: Alles was wir zum Leben brauchen, produzieren "wir" bereits im Überfluss, und das als Dienstleisterstaat (der bekanntlich nichts schafft) im Vorstadium. Die Menschheit leistet sich die Energieverschwendung, geplant fehlerhafte Dinge herzustellen, damit der Konsumkreislauf am laufen gehalten wird - anstatt für eine Verteilung dieser Dinge auf möglichst alle Menschen zu sorgen. Das klingt nach Kommunismus, hat aber kein Proletariat und auch keinen Klassenkampf in sich. Wir müssen der Tatsache schlichtweg ins Auge sehen, dass wesentliche Prinzipien des Kapitalismus ausgedient haben und der Gesellschaft mehr schaden als sie ihr nutzen. Wir produzieren alleine in meinem Heimatland Oberösterreich mehr als 7000 kcal an Nahrung pro Tag und Kopf, und das so automatisiert, dass nur noch ein winziger Bruchteil der Bevölkerung in dieser Branche beschäftigt ist - Europa könnte Afrika locker miternähren, kippt die Überschüsse aber lieber ins Meer, wegen der Preispolitik. Einen Zusammenhang mit (für uns teuren) afrikanischen Flüchtlingen kann dabei auch niemand sehen. Solange das Kollektiv verweigert in diesen Zusamenhängen zu denken, aber lieber Kommentare à la "Wer das BGE befürwortet hat doch gar keine Ahnung wo das Geld überhaupt herkommt!" von sich gibt wird die gesellschaftliche Entwicklung tendenziell negativ verlaufen. Andere Länder, wie etwa die Schweiz, werden den Sprung schaffen und den Rest hinter sich zurücklassen. Eine verratene Jugend wird dereinst dafür danken.

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Petra vom Frankenwald

Petra vom Frankenwald bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:14

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