Der demographische Wandel ist längst im Gange und die Situation wird sich weiter zuspitzen. Alte und kranke Menschen werden in den nächsten Jahren und Jahrzehnten ein prägender Teil der Gesellschaft sein. Vor dieser Tatsache verschließt sich bislang die Politik. Noch vor der Ausbildung zum Seniorenanimateur habe ich mir den Roman Die Erlöser AG von Björn Kern zugelegt, der einen Blick in die Zukunft wagt, bei dem uns Hören und Sehen vergehen mag.

Im Grunde gibt es zwei Lesarten der Geschichte. Die erste ist der Fokus aktive Sterbehilfe. Die Erlöser AG verspricht diesbezüglich beste Arbeit. Ein Journalist und ein Arzt machen diesbezüglich gemeinsame Sache und werden mit allerlei dramatischen Konstellationen konfrontiert. Der Vater des Journalisten ist dement. Und es stellt sich für Paul Kungebein die Frage, ob er ihn erlösen soll, obzwar dieser sich nicht mehr artikulieren und also einen Willen bekunden kann.

Die zweite ist die Situation, wie sie sich darstellt. Es existieren sozusagen Ghettos für alte und kranke Menschen. Der Schauplatz ist Berlin. Die Menschen siechen dahin, es bleibt kaum Zeit sich um sie zu kümmern. Manche werden irgendwo abgestellt und vergessen. Ein Szenario, wie es durchaus vorstellbar ist. Denn es „brennt der Hut“, um es mal so auszudrücken. Während meines Praktikums im Seniorenheim konnte ich beobachten, wie alte Menschen ruhiggestellt gar nicht mehr wussten, was um sie herum passierte. Von zehn Menschen, die bei einer kleinen Jause saßen, waren acht nicht ansprechbar.

Björn Kern las einen Ausschnitt aus dem Text beim Bachmann-Preis im Jahre 2007 vor und das sorgte für einen kleinen Eklat. Das dargestellte Elend wurde von einigen Jury-Mitgliedern als überzogen empfunden. Daraufhin meldete sich Björn Kern selbst zu Wort und sagte, er habe nicht übertrieben, das geschilderte Elend habe er genau so wahrgenommen. Der Autor wurde mit keinem Preis bedacht.

Alte und kranke Menschen haben in der heutigen Gesellschaft keinen Stellenwert. Sie stellen eine Gruppe dar, die sich ökonomisch nicht verwerten lässt. Mehr noch: Alte und kranke Menschen sind kostspielig. Wenn sich die Situation zuspitzt und in nächster Zeit nicht gehandelt wird, kann der Irrsinn mit den Alten-Ghettos keineswegs ausgeschlossen werden. Wobei Deutschland immerhin Anfang diesen Jahres einen wichtigen ersten Schritt gesetzt hat, dieser dystopischen Vorstellung etwas entgegen zu setzen. Durch das Inkrafttreten des Pflegestärkungsgesetzes kommt es zu einer deutlichen Ausweitung der Leistungen für Pflegebedürftige und ihrer Angehörigen. Damit geht auch eine verstärkte soziale Betreuung einher. Somit ist Deutschland Österreich allemal einen wesentlichen Schritt voraus! Ein Recht auf Pflege sollte ohnehin eine Selbstverständlichkeit sein. Angesichts sozialer Betreuung, die über wenige Stunden in der Woche weit hinausgeht, erhalten die alten und kranken Menschen jene Aufmerksamkeit, durch die sie aufblühen und ein im Rahmen der Möglichkeiten angenehmes Leben führen können.

Das von Björn Kern dargestellte Szenario muss also keineswegs Wirklichkeit werden, wenn rechtzeitig dagegen gesteuert wird. Auf österreichische Verhältnisse übertragen verhält es sich so, dass insbesondere im sozialen Bereich sehr viele – notwendige!!! – Arbeitsplätze geschaffen werden könnten. Und es ist unerklärlich, warum das Gegenteil getan und also gespart wird! Die Arbeitswelt von morgen kann nur eine sein, die den Menschen wieder mehr in den Mittelpunkt stellt. Grenzenloser Wirtschaftswachstum ist Humbug und gefährlich. Der hohen Arbeitslosenquote in Österreich wäre allein schon dadurch beizukommen, dass Jobs im sozialen Bereich geschaffen werden. Über den Bildungsbereich und den Umgang mit Künstlern und Kreativen will ich mich an dieser Stelle nicht beschäftigen, da schaut es auch nicht besser aus.

Wer dieses Buch von Björn Kern liest und nicht davon berührt ist, dem ist nicht zu helfen. Alte und kranke Menschen gehören auf kein Abstellgleis gestellt, sondern mitten in die Gesellschaft eingebunden! Dies ist wohl auch eine Intention des Autors, der nur zugestimmt werden kann. Die Etablierung des Pflegestärkungsgesetzes in Österreich nach dem Vorbild von Deutschland könnte ein erster Schritt in die richtige Richtung sein.

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