Seit vielen Jahrzehnten schon versuche ich mit einigem Aufwand, irgendwas Geschriebenes von mir einem Verlag, einem Theater oder einer Zeitschrift anzudrehen. Vergeblich. Aber dafür gibt's ja inzwischen meine Website und meinen Blog, auch wenn das so sinnlos ist wie nur irgendwas.

Ich mein, ich könnte ja einen Freund oder Verwandten feierlich verpflichten, nach meinem Tode alle meine auf Papier oder Festplatte festgehaltenen Texte zu verbrennen beziehungsweise zu löschen, aber diesen Trick haben vor hundert Jahren Franz Kafka und Max Brod erfunden und erfolgreich durchgezogen. Ein zweites Mal wird so ein Schabernack nicht mehr funktionieren, fürchte ich.

Ich argwöhne nämlich daß die Anweisung, seinen Nachlaß zu verbrennen, eine abgekartete Sache zwischen Kafka und Brod war. Ein Marketing-Gag des todgeweihten Kafka, ein letzter Schelmenstreich. Zu Lebzeiten war Kafka so gut wie unbekannt, durch Max Brods posthume Herausgabe seiner Werke wurde er schnell zum Weltstar und ist es bis heute geblieben. Er wäre es womöglich nie geworden, wenn Brod diese romantische Geschichte mit dem Feierlichen Versprechen und seinem Bruch dieses Versprechens nicht erzählt hätte. Oder haben Sie je wirklich geglaubt, daß Brod ohne zwingende Not von seinem Verrat am Freund erzählt hätte, wenn er diesen Verrat tatsächlich begangen hätte, gegen den ausdrücklichen Willen Kafkas?

Kafka hat zwei testamentarische Verfügungen seinen literarischen Nachlaß betreffemd hinterlassen, die erste wahrscheinlich Ende 1921, die zweite vom 29. November 1922, in Form eines Briefes an Max Brod [1]. Der Brief wurde angeblich nie abgeschickt, Brod fand ihn nach dem Tod des Freundes unter dessen Papieren. Es ist, so lese ich, wenig bekannt, daß ausgerechnet die beiden ›Testamente‹ selbst die ersten Texte sind, die Brod nach dem Tod Kafkas am 3. Juni 1923 aus dessen Nachlaß veröffentlichte (in der Weltbühne am 17. Juli 1924). Also erst der Publicity-Gag, dann erst die literarischen Texte. Nachtigall, ick hör dir trappsen.

__________________________________

[1] Lieber Max, vielleicht stehe ich diesmal doch nicht mehr auf, das Kommen der Lungenentzündung ist nach dem Monat Lungenfieber genug wahrscheinlich und nicht einmal dass ich es niederschreibe wird sie abwehren, trotzdem es eine gewisse Macht hat.

Für diesen Fall also mein letzter Wille hinsichtlich alles von mir Geschriebenem:

Von allem was ich geschrieben habe gelten nur die Bücher: Urteil, Heizer, Verwandlung, Strafkolonie, Landarzt und die Erzählung: Hungerkünstler. (Die paar Exemplare der »Betrachtung« mögen bleiben, ich will niemandem die Mühe des Einstampfens machen, aber neu gedruckt darf nichts daraus werden). Wenn ich sage, dass jene 5 Bücher und die Erzählung gelten, so meine ich damit nicht, dass ich den Wunsch habe, sie mögen neu gedruckt und künftigen Zeiten überliefert werden, im Gegenteil, sollten sie ganz verloren gehn, entspricht dieses meinem eigentlichen Wunsch. Nur hindere ich, da sie schon einmal da sind, niemanden daran, sie zu erhalten, wenn er dazu Lust hat.

Dagegen ist alles, was sonst an Geschriebenem von mir vorliegt (in Zeitschriften Gedrucktes, im Manuskript oder in Briefen) ausnahmslos soweit es erreichbar oder durch Bitten von den Adressaten zu erhalten ist (die meisten Adressaten kennst Du ja, in der Hauptsache handelt es sich um Frau Felice M, Frau Julie geb. Wohryzek und Frau Milena Pollak, vergiss besonders nicht paar Hefte, die Frau Pollak hat) — alles dieses ist ausnahmslos am liebsten ungelesen (doch wehre ich Dir nicht hineinzuschauen, am liebsten wäre es mir allerdings wenn Du es nicht tust, jedenfalls aber darf niemand anderer hineinschauen) — alles dieses ist ausnahmslos zu verbrennen und dies möglichst bald zu tun bitte ich Dich

Franz

0
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
0 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

1 Kommentare

Mehr von Theodor Rieh