Nach den Wahlen ist vor den Wahlen – Überlegungen, was kulturpolitisch schon bald auf uns zukommen könnte

Vor einigen Jahren haben sich eine Reihe von Innsbrucker Kulturinitiativen zu einer „Beattlegroup for Art“ zusammengefunden. Ziel war es, das Gesprächsklima zwischen Politik und Szene nachhaltig zu verbessern und so zu einem neuen, stärker auf Augenhöhe verorteten Miteinander zu kommen. Die damit verbundenen Hoffnungen haben sich – zumindest in Tirol – zuletzt als trügerisch erwiesen.

Bei der kulturpolitischen Diskussionsveranstaltung „Kultur und Demokratie“ im Innsbrucker Treibhaus glänzten sowohl die im Land Tirol als auch in der Stadt Innsbruck für Kultur zuständigen PolitikerInnen durch Abwesenheit. Das erschien den InitiatorInnen umso bedauerlicher, als es darum gehen sollte, über die kulturpolitischen Konsequenzen der wahrscheinlichen Wiederauflage einer schwarz-blauen Regierung auf Bundesebene nachzudenken und sich zugleich rechtzeitig vor den kommenden Landtagswahlen in Tirol und den Gemeinderatswahlen in Innsbruck zu positionieren (als Drohkulisse dazu diente Ihnen dazu das Land Oberösterreich, wo eine schwarz-blaue Landesregierung drauf und dran ist, nachhaltige Kürzungen auch im Bereich der Kunst- und Kulturförderung vorzunehmen und auch das desaströse Abschneiden der Grünen im Bund wenig hoffen lässt, eine ähnliche Entwicklung würde sich in Tirol aufhalten lassen).

Bereits vor der Veranstaltung hatten sich die VertreterInnen einer Reihe von Kulturinitiativen zu einem Workshop „Nach den Wahlen ist vor den Wahlen“ zusammengefunden. Als ein Gast aus Wien war ich eingeladen, einige grundlegende Gedanken beizusteuern in der Hoffnung, diese für die strategische Weiterentwicklung der „Beattlegroup“ nutzen zu können.

Über die neue Normalität Österreichs im globalen Kapitalismus

Immerhin spricht vieles dafür, dass wir uns mit dem dramatischen weiteren Rechtsruck (ja, Österreich in seiner Gesamtheit ist traditionell konservativ verfasst), der bei den letzten Parlamentswahlen zum Ausdruck gekommen ist, von liebgewordenen Vorstellungen relativer Kontinuität werden verabschieden müssen und dass die Sogwirkung, die Sebastian Kurz mit seinem Veränderungsversprechen bei vielen WählerInnen ausgelöst hat, mehr ist als eine lokale Besonderheit eines zielstrebig an die Spitze des Staates strebenden jungen Mannes.

Ganz offensichtlich ist es ihm und seiner Entourage gelungen, eine weitere Stufe der Integration Österreichs in den globalen Kapitalismus als erstrebenswert erscheinen zu lassen, obwohl dessen Schattenseiten immer auffälliger werden. Vor ein paar Jahren hat der britische Premierminister Tony Blair noch vom „Turbokapitalismus“ gesprochen, den er damals versprochen hat, mit seinem „New-Left-Movement“ einzuhegen. Wie wir heute im Bombardement einer täglichen medialen Krisenberichterstattung erfahren können, haben er und seine Freunde dieses Versprechen nicht einzuhalten vermocht; statt dessen erleben wir eine seit dem Ende des 2. Weltkriegs nicht mehr für möglich gehaltene Verschärfung der gesellschaftlichen Widersprüche, die immer mehr BeobachterInnen von einem Epochenbruch (siehe z.B. Attac (2017): Entzauberte Union) sprechen lassen.

Immer mehr Menschen verschwinden aus der öffentlichen Wahrnehmung

Den aktuellen positiven Wirtschaftsdaten zum Trotz fallen immer mehr Menschen aus ihren einkommens- wie sinnstiftenden Produktionsverhältnissen heraus und verschwinden aus der öffentlichen Wahrnehmung. Während die potentiellen NutznießerInnen einer weiteren Verschärfung der von Konkurrenz getriebenen Arbeits- und Leistungsgesellschaft die negativen Folgen einer weiteren sozialen Verungleichung als unabdingbare Kollateralschäden in Kauf nehmen, wird der Verdacht größer, die damit verbundene Zunahme gesellschaftlicher Widersprüche ließe sich im Rahmen der liberal-demokratischer Verfasstheit der nationalen Gesellschaften nicht mehr lösen.

Statt dessen geraten die wohlfahrts- und damit auch kulturstaatlichen Rahmenbedingungen zunehmend in Turbulenzen; ihr Brüchigwerden im Geist von „There is no alternative“ verweigert mehr und mehr Menschen die Gestaltung lebbarer Zukunftsperspektiven, um die es sich zu kämpfen lohnt. Eine der gravierendsten Auswirkungen für den Kulturbereich ist die Kaperung des Kulturbegriffs durch die Rechte, der es zunehmend erfolgreich gelingt, mit ihren, auf Segregation gerichteten Vorstellungen von Kultur eine weitere Zunahme der sozialen Differenzen als quasi natürlich erscheinen zu lassen bzw. zuungunsten willkürlich herbeikonstruierter Gruppen („die Migranten“, „die Flüchtlinge“, „die Muslime“ ,….) zu ethnisieren.

Wenn mit der Wiedererrichtung einer schwarz-blauen Regierung die aktuelle Phase des globalen Kapitalismus auch für Österreich zum Normalfall erklärt wird, dann zeigen sich am Horizont bereits die weitergehenden politischen Konsequenzen. Gesellschaftskritiker wie Ivan Krastev sprechen angesichts der wachsenden Attraktivität autoritärer Regierungsformen (China, Russland, Türkei, Ungarn, Polen, USA,…) bereits von der „Auflösung der liberalen Weltordnung“, um deutlich zu machen, dass auch für Kunst und Kultur im Zuge globaler Illiberalisierung ungemütlich werden könnte. Ganz offensichtlich zeigen sich im erneuerten Kampf der Systeme durchaus unerfreuliche Alternativen, deren neoautoritäre VertreterInnen mit aller Macht schon jetzt versuchen, den zu erwartenden Widerstand der KrisenverliererInnen im Kampf gegen die alten Eliten auf ihre politischen Mühlen zu lenken.

Gespeist wird eine diesbezügliche Feindproduktion auch und gerade durch die wachsende Wanderungsbewegung von Menschen, die – ebenso wie Waren, Geld und Dienstleistungen, deren transnationale Mobilität im höchsten Maß ökonomisch erwünscht ist – sich das Recht nehmen, nationale Grenzen zu überschreiten und dorthin zu gehen, wo sie die besten Lebenschancen für sich sehen. Während aber dieses Phänomen nur in Form post-migrantischer Gesellschaften lösbar erscheint, sind es ausgerechnet die Befürworter des globalen Kapitalismus, die im Kampf um Wettbewerbsvorteile auf eine sich weiter vertiefende Spaltung und soziale Hierarchisierung der nationalen Gesellschaften setzen.

Die Digitalisierung und das Ende der Arbeitsgesellschaft, wie wir sie kennen

Neben der zunehmenden Selbstrefentialität eines, seiner nationalen Fesseln weitgehend befreiten Finanzkapitals erfährt die herrschende Wirtschaftsform ihre aktuell besondere Dynamik durch die Digitalisierung unser aller Lebens- und Arbeitsbereiche. Vieles spricht für die Annahme, dass die weitere Durchdringung dieses Leitmediums schneller als uns lieb sein kann das Ende der Arbeits- und Leistungsgesellschaft, so wie wir sie kennen, einläuten wird. „Wir dekorieren auf der Titanic die Liegestühle um“ meint dazu der deutsche Philosoph Richard David Precht, wenn zu erwarten ist, dass bereits in wenigen Jahren weite Teile der Arbeitsplätze in den traditionellen Wirtschaftssektoren verschwunden sein werden. Dieser Verlust wird nicht nur Routine-Jobs betreffen, sondern weit in hoch- und höchstqualifizierte Arbeitsfelder wie Juristen, Ärzte, Lehrer oder auch Kulturschaffende hineinreichen und uns damit die Grundlagen für unsere Identitätsbildung im Rahmen traditioneller (Lohn-) erwerbsarbeit unter den Füßen wegziehen.

Eigentlich eine wunderbare Entwicklung, die mehr und mehr Menschen aus den Zwängen der Lohnarbeit befreit und sie – zumindest potentiell – in die Lage versetzt, sich ihr Leben selbst zu gestalten. In dem Maß, in dem die Befürworter eines „More-of-the-same“ die Entwicklung alternativer Lebensentwürfe (etwa im Zusammenhang mit Überlegungen der Wertschöpfungsabgabe oder dem bedingungslosen Grundeinkommens) verweigern, steht freilich zu befürchten, dass einer immer kleineren Gruppe an Konkurrenz gestählten LeistungsträgerInnen ein wachsendes Heer an perspektivlosen Arbeitslosen gegenüber stehen wird, das mit zunehmend autoritären Sicherheitsmaßnahmen in Schach gehalten werden muss (mehr als ein Indiz dafür, dass sich der aktuelle Ausbau des Sicherheitsstaates weniger gegen Terrorismus von außen sondern in erster Linie gegen einen zu erwartenden Widerstand depravierter Gruppen im Inneren rüstet).

Darüber hinaus repräsentiert Digitalisierung auch das Überhandnehmen neuer, weitgehend zeit- und ortloser Kommunkationsformen, die als neues Leitmedium unsere bisherigen Vorstellungen von Kultur (und wohl auch Bildung) auf den Kopf stellen werden. Das erscheint jedenfalls mir als die größte kulturpolitische Herausforderung, wenn es darum geht, „Kultur“ sowohl formal als auch inhaltlich neu zu fassen und darüber hinaus zu berücksichtigen - sofern die Verwendung des Begriffs „Kultur“ im digitalen Zeitalter überhaupt noch operationalisierbar erscheint – dass die digitalen Medien den Fortbestand aller bisherigen Medien (vom Buch über Theater, Konzert, Film bis zum Fernsehen) nachhaltig beeinflussen werden.

Was von der neuen österreichischen Bundesregierung zu erwarten ist.

Wenn die Neue ÖVP im Wahlkampf mit dem Slogan „Wir wollen Österreich verändern“, dann spricht vieles für die Vermutung, dass diese Art der Veränderung, die Kurz und

Co. meinen,Österreich näher an die Spielregeln des globalen Kapitalismus heranführen wird. So steht zu befürchten, dass der Versuch, Österreichs für eine weitere Verschärfung des globalen Wettbewerbs fit zu machen gleichbedeutend ist mit dem weiteren Abbau sozialpolitischer (und damit auch kulturpolitischer) Errungenschaften, die dieses Land bislang ausgezeichnet haben. Schon jetzt zeigen die künftigen Koalitionspartner, dass sie virtuos auf der Migrations- und Flüchtlingspartitur zu spielen vermögen, wenn es im Kern darum geht, die mühsam errungene Sozialstaatlichkeit in erster Linie auf Kosten der sozial Schwächsten auszuhöhlen und damit die sozialen Differenzen (gerne auch zwischen Stadt und Land) weiter zu vertiefen.

In dem Zusammenhang wird sich die angesichts der traditionellen EU-Skepsis der FPÖ gern von Seiten der ÖVP beschworene Befürwortung des europäischen Gedankens auf dessen wirtschaftspolitische Skelettierung beschränken. So sehr der neuen Regierung ein weiteres Zusammenwachsen der Union als ein gemeinsamer Wirtschaftsraum ein Anliegen sein mag, so sehr wird sie sich gegen alle darüber hinaus gehenden Integrationsschritte, etwa in Richtung einer Sozialunion (von einer genuin kulturpolitischen Kompetenz der EU ganz zu schweigen) wenden und damit einer weiteren sozialen Fragmentierung entlang ethnisch-nationaler Grenzen des Kontinents Vorschub leisten.

Diese Form der unter dem ökonomischen Primat stehenden weiteren Entsolidarisierung und sozialen Fragementierung wird neue Formen des Sicherheits- und Überwachungsstaates als sinnvoll und unabdingbar erscheinen lassen. Die negativen Folgen könnte auch der Kulturbereich zu spüren bekommen, wenn schon jetzt andere EU-Mitgliedsländer wie Polen oder Ungarn zu einer – sicherheitspolitisch argumentierten - Wiederkehr einer inhaltlichen Aufsicht kultureller Produktion durch den Staat tendieren.

Gerne wird in diesen Tagen über neue Möglichkeiten der direkten Demokratie gesprochen, um auf diese Weise der BürgerInnen stärker in die politischen Entscheidungsprozesse einzubinden. Wenn in diesem Zusammenhang gerne das Beispiel der Schweiz strapaziert wird, dann zeigen sich rasch die kategorialen Unterschiede zwischen den Szenarien „von oben“ und den Initiativen „von unten“. Vieles spricht dafür, dass gerade die FPÖ mit diesem Instrument versucht, ihre eigene Agenda der ethnisch-kulturellen Feindproduktion zu legitimieren während ich mir erst gar nicht vorstellen mag, was die Zunahme plebiszitärer Entscheidungsformen für den notwendiger Weise minoritär verfassten Kunst- und Kulturbetrieb bedeuten könnten.

Die starke Position innerhalb der Neuen ÖVP, die sich ihr Parteiführer erkämpft hat wurde von seinen Parteigängern nach der Wahl zu einem neuen Führungsanspruch für ganz Österreich interpretiert (Originalton des Landesparteiobmanns der ÖVP-Wien Gernot Blümel in einem ORF_Interview: „Wenn Sebastian Kurz etwas sagt, dann werden wir folgen….“). Auch die Bereitschaft, das Land künftig stärker an die Visegrad-Länder zu binden, deutet darauf hin, dass die neue Bundesregierung keinerlei Berühungsängste mit dem grassierenden Neoautoritarismus der östlichen Nachbarn haben wird. Auch die Ansagen, künftig den Einfluss anderer politischer Akteure stark einschränken, wenn nicht gleich ganz eliminieren zu wollen (Sozialpartner, Kammern,…) deuten auf eine Änderung der politischen Kultur hin, die auch die künftige Eigenständigkeit des Kulturbereichs in Frage stellen würde.

Droht das Ende der Kunst- und Kulturförderung, wie wir sie kennen?

Die österreichischen Länder sind traditionell stolz auf ihre „Kulturhoheit“ (auch wenn eine solche in der österreichischen Bundesverfassung so nicht verankert ist). Sie alle haben in den letzten Jahren eine wesentliche Verbesserung ihrer kulturellen Infrastruktur betrieben und so an der Vervielfältigung der kulturellen Landschaft mitgewirkt (und damit die Kulturpolitik des Bundes – frühzeitige Eröffnung eines Haus der Geschichte in St. Pölten – in die Defensive geraten lassen). Wenn Sebastian Kurz im Wahlkampf mit dem Versprechen angetreten ist, künftig 12 – 14 Milliarden Euro einsparen zu wollen, so wird diese Maßnahme auch einschneidende Auswirkungen auf die Kunst- und Kulturförderung aller Gebietskörperschaften haben.

Hat schon der vormalige Kunst- und Kulturminister Josef Ostermayer versucht, die Verländerung der Kunst- und Kulturförderung voranzutreiben, so wird die neue Bundesregierung (schon um die eigene Legitimation zu erhöhen) die Ansprüche nach kultureller Selbständigkeit der Länder nur zu gern bedienen und sich zumindest aus Teilen der Kunst- und Kulturförderung zurückzuziehen. Dafür spricht auch die Ansage einer Durchleuchtung von Doppel- und Mehrfachförderungen, die bislang die Existenzgrundlage vieler Kultureinrichtungen und Initiativen bedeutet haben. Dass mit Förderentzug auch inhaltliche Prioritäten gesetzt werden können, erinnern wir uns noch am Beispiel der ersten schwarz-blauen Bundesregierung, deren Repräsentant Franz Morak einem heftigem Revanchismus bei Förderentscheidungen erlegen ist.

Vor allem im Bildungsbereich ist zuletzt die Frage des Erwerbs der deutschen Sprache, vor allem bei ZuwanderInnen ganz oben auf die politische Agenda gerückt. Vergleichsweise in den Hintergrund rücken dabei die Chancen der Mehrsprachigkeit, die als eine Bereicherung der kulturellen Vielfalt begriffen und entsprechend gefördert werden könnten. Dass als neue Form der gegenseitigen Verständigung digitale Angebote zur simultanen Übersetzung aller möglichen Sprachen das Problem, so es dann noch eines ist, schon bald obsolet machen könnten, bleibt zu meinst unerwähnt.

Ein Moment sei an dieser Stelle ganz besonders erwähnt, wenn mit dem Ausscheiden der Grünen aus dem Parlament zu erwarten ist, dass sich politische Auseinandersetzungen wieder verstärkt in den außerparlamentarischen Raum verlagern werden. In dem Maß, in dem das traditionelle politische System Schwächen zeigt (und als Folge auf die autoritäre Karte setzt) werden sich zivilgesellschaftliche und auch kulturelle Initiativen wieder stärker auf der Strasse finden. Sie werden dort freilich nicht allein sein, zumal sich erstarkende rechtsradikale Initiativen (z.B. die Identitären) bereits seit geraumer Zeit der außerparlamentarischen Formate der Linken in den 1970er Jahren bedienen und damit den Beweis antreten, dass sie sich nicht auf die Rolle rückwärtsgewandter Bewahrer volkstümlicher Kulturformen beschränken lassen.

Was bedeutet die Wende nach Rechts für die Kulturpolitik?

Im Wahlprogramm der Neuen ÖVP findet sich an prominenter Stelle die Absicht zur Modernisierung der österreichischen „Kulturnation“. Dies lässt gesamtpolitisch nichts Gutes erwarten, wenn der Begriff der „Kulturnation“ historisch immer dann aus der Versenkung geholt wurde, wenn die demokratischen Errungenschaften in besonderer Gefahr waren und Österreich in seiner staatlichen Eigenständigkeit wenig Überlebenschancen gegeben wurden (etwa unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg, aber auch nach 1945 - Ich werde diese Behauptung in einer meiner nächsten Blogs detaillierter erläutern). Wenn dieser Begriff „Kulturnation“ heute politisch nochmals strapaziert wird, dann kann er nur im Zusammenhang mit der zunehmend diversen ethnisch-kulturellen Zusammensetzung auch der österreichischen Bevölkerung interpretiert werden. Statt aber ihren Charakter als eine post-migrantischen Gesellschaft, in der die verschiedenen Herkünfte an Bedeutung verlieren, wird hier nochmals der politische Wille zur kulturellen Homogenisierung deutlich, wie er etwa in Ungarn mit der Konstruktion der herausragenden Stellung des Ungarntums (über die nationalen Grenzen hinweg) seine fröhlichen Urstände feiert.

Im Versuch, diesen Entwicklungen zumindest auch einige positive Aspekte abzugewinnen, seien abschließend noch einige Themen angesprochen, die für das weitere Prosperieren des Kunst- und Kulturbereichs entscheidend sein könnten.

Kann sich Kulturpolitik nochmals als Gesellschaftspolitik positionieren?

Da ist zum einen die Vermutung, dass sich angesichts der Komplexität der aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse die Idee einer selbstreferentiellen Kulturpolitik drauf und dran ist, sich zu verflüchtigen. Stattdessen spricht vieles dafür, Kulturpolitik künftig stärker als eine Querschnittsmaterie zu problematisieren, die sich in vielfältiger Überschneidung mit anderen Politikfeldern weiß und deutlich machen kann, worin ihre spezifischen Beiträge liegen. So könnte ein stärkeres Zusammenwirken mit Stadtentwicklung, Tourismus, Bildung, Medien, Gesundheit- und Soziales und natürlich auch Wirtschaft) nicht nur zu einer neuen Mittelzufuhr sondern auch zu einer größeren Wirksamkeit (und damit gesellschaftlichen Akzeptanz) außerhalb der lieb gewordenen kulturellen Ghettos führen. Diese neue Positionierung könnte sich auch auf eine stärkere Berücksichtigung des zivilgesellschaftlichen Engagements beziehen, wenn damit neue Allianzen mit einer Vielzahl von Akteuren (Menschenrechte, Antirassismus, Jugendhilfe, Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Konfliktbewältigung,…..) geschlossen werden können.

Eine Reihe von internationalen kulturpolitischen Entwicklungen deuten darauf hin, dass wir es mit einem geänderten Stellenwert von Kunst- und Kultureinrichtungen zu tun haben. Ja, viele von ihnen folgen der grassierenden ökonomisch getriebenen Verwertungslogik und unterwerfen sich ihrer umfassenden Vermarktwirtschaftlichung und damit verbundener Kommerzialisierung ihrer Angebote. Andere hingegen nutzen die Chancen daraus resultierender Vakua im gesellschaftlichen Zusammenlebens uns positionieren sich als Alternative von als unbefriedigend warhgenommener Gegebenheiten und damit als Orte der Begegnung, des Austausch sund der „Kokreation eines selbst gestalteten Lebens“ im jeweiligen Gemeinwesen (“Community Building“).

Das bezieht sich auch ganz unmittelbar auf das bisherige Verhältnis von Kunstproduktion und –rezeption. Da sind zum einen die KünstlerInnen, die es als ihre vorrangige Aufgabe sehen, einen außer Rand und Band geratenen Kunstmarkt zu bedienen. Da sind im wachsenden Umfang aber auch diejenigen, die im Marktgeschehen nicht ihre künstlerische Erfüllung finden und sich stattdessen in unterschiedliche Settings mit unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Ansprüchen auseinandersetzen und ihre Arbeit in erster Linie sozial-interventionistisch und damit als Mittel der politischen Emanzipation mit spezifisch künstlerischen Mitteln begreifen.

Die Förderstrukturen entfernen sich zunehmend von den aktuellen Kunstproduktions- und -rezeptionsverhältnissen

Pragmatischer ist da schon die wachsende Erkenntnis, weite Teile der seit den 1970er Jahren entwickelten staatlichen Förderstrukturen seien in die Jahre gekommen. In ihrer überkommen Form würden sie den künstlerischen Produktionsbedingungen immer weniger entsprechen (genre-übergreifend, prozesshaft, kooperativ, interventionistisch und interaktiv auf unterschiedliche Akteursgruppen bezogen,..). Entsprechend größer wird die Gruppe von KünstlerInnen und Kulturschaffenden, die sich eine Weiterentwicklung des Verhältnisses von Kunst- bzw. Kulturverwaltung und Kunst- und Kulturbetrieb erhoffen.

Wenn ich zu Beginn die herausragende Rolle der Digitalisierung für die grundlegende Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse angedeutet habe, so hat das eine Reihe von unmittelbaren kulturpolitischen Konsequenzen, etwa im Bereich des Urheberrechts oder der Chancengleichheit im Zugang. Die eigentliche Herausforderung auch für den Kulturbereich und damit für die Kulturpolitik stellt das erwartbare Ende der Arbeitsgesellschaft dar. Immerhin entscheidet dieser Bereich wesentlich mit, ob es gelingen kann, den Menschen, die sukzessive aus dem Sektor der (Lohn-)erwerbsarbeit hinausgedrängt werden, die Mittel an die Hand zu geben, die sie für die Gestaltung einer sinnstiftenden Existenz brauchen. Ausgerechnet die Aristokratie des 18. Jahrhunderts könnte in diesem Zusammenhang ein Vorbild sind, wenn diese soziale Gruppe, weitgehend von Arbeit befreit, in der Lage war, ein kulturell reiches Leben zu führen. Wenn all die Tätigkeiten, die damals diese privilegierte Lebensform ermöglicht haben, nicht mehr von Leibeigenen durchgeführt werden müssen sondern Automaten übertragen werden können, ergeben sich – im Prinzip – ungeahnte Möglichkeiten für die Verfolgung eines kulturell reichen und vielfältigen Lebens. Dieses bezöge seine Identität und Perspektive nicht mehr ausschließlich aus der Mitwirkung an der kapitalistisch organisierten Produktions- und Dienstleistungsgesellschaft sondern aus dem Selbstgestaltungwillen der Menschen.

Ja, ich weiß, das ist (noch) ein utopischer Gedanke, aber vielleicht der einzige Ausweg, um einer neuen Form der Barbarei zu entgehen.

Über all das haben wir im Rahmen der Diskussionsveranstaltung im Treibhaus nicht gesprochen. Immerhin hat sich die „Beattlegrup for Art“ zu einer Weglassung des „e“ entschieden und wird künftig als „Battlegroup firmieren. Vielleicht ist das ja auch die wichtigste Antwort auf die aktuellen kulturpolitischen Herausforderungen: Dass wir wieder kämpferischer werden und uns darauf vorbereiten, die Verhältnisse zumindest ein Stück weit wieder selbst in die Hand zu nehmen. Dazu wünsche ich nicht nur den KollegInnen in Innsbruck alles Gute!

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