Wertevermittlung: Kneifen gilt nicht!

„Sind Polizistinnen minderwertiger als Polizisten?“ fragte Christian Ortner rhetorisch in seinem FuF-Blog vom 9. November und zitierte einen sozialdemokratischen Polizeigewerkschafter, wonach es durchaus vorkomme, dass männliche Kollegen die Amtshandlung übernehmen, wenn sich die „beamtshandelte“ Person weigere, mit einer Polizistin zu reden.Da ich nicht recht glauben konnte, dass der Polizeigewerkschafter das wirklich so gesagt hat, habe ich mir den Originalton angehört. Das Interview mit Hermann Greylinger (so der Name des Gewerkschafters) lief am 7. November im Ö1-Mittagsjournal. Die entsprechenden Passagen aus dem Interview sind in der Tat höchst aufschlussreich, daher hier die Transkription (ich habe leichte sprachlich Begradigungen vorgenommen):Interviewer: „Eine deutsche Polizistin mit griechischen Wurzeln hat vor Kurzem ein vielbeachtetes Buch veröffentlicht. Sie schreibt darin unter anderem, dass sie, weil Frau, bei manchen Einsätzen von männlichen Zivilpersonen mit bestimmtem Migrationshintergrund nicht ernst genommen wird. Gibt es derlei Probleme in Österreich auch schon?“H.G.: „Diese Probleme gibt es natürlich. Sie treten nicht in dieser Breite auf ... Deutschland hat ja schon seit Jahren ein viel größeres Problem mit dieser 2. und 3. Generation ... Es ist ganz einfach so, dass die Kolleginnen von diesen Männern nicht wahrgenommen werden, dass sie sich abwenden, nicht mit ihnen sprechen, ihnen nicht die Personalien bekannt geben, so in der Art: Mit dir sicher nicht, das mache ich nur mit dem Kollegen ...Interviewer: „Was macht man da?“H.G.: „Man wird wieder deeskalierend wirken, die Kollegin wird den Kollegen den Namen und das Geburtsdatum aufschreiben lassen, wenn es wirklich nicht zu bereinigen ist.Man kann sich eigentlich nur wundern, dass es so etwas im 21. Jahrhundert noch gibt, überhaupt dann, wenn der Betreffende in einem europäischen Land lebt. Aber da sind wir wieder beim Thema Integration, und das muss eine Minute nach dem Grenzübertritt vermittelt werden: ‚Hallo, bei uns gibt es andere Sitten, andere Bräuche, und die hast du hier einzuhalten, sonst haben wir ein Problem mit dir’.“ (Ende Transkription)Wie gesagt, an dieser Wortwahl ist einiges bemerkenswert:Das Gewährenlassen wird mit „Deeskalation“ begründet, wobei das Wort „wieder“ darauf schließen lässt, dass es sich dabei um das Standardvorgehen handelt. Daher werde ich bereits hier das Gefühl nicht los, dass es sich beim Begriff „Deeskalation“ lediglich um eine Behübschung von „nur keine Wellen!“ handelt.Wirklich erpicht auf ein Einschreiten wirkt Greylinger auch dann nicht, er empfiehlt lediglich, sich zu „wundern“, vermutlich, um so etwas Dampf abzulassen.Dann scheint ihm aber zu dämmern, dass eine Sache „wegzuwundern“ doch etwas wenig ist und nun ein Lösungsvorschlag kommen sollte. Es folgt das allumfassende und daher gern in Bedrängnis verwendete Wort „Integration“. Erfreulicherweise wird es dann aber doch noch konkret: „Eine Minute nach Grenzübertritt“ müssten die „anderen Bräuche“ vermittelt werden (Die „Minute“ finde ich übertrieben, aber sagen wir, das ist ein rhetorisches Stilmittel und meint „bald“). Wer das tun soll, sagt Greylinger nicht, man hat aber wieder das Gefühl, er meint, „irgendjemand halt, Hauptsache, nicht wir, die Polizei“.Und schließlich folgt sogar noch so etwas wie eine Drohung: „Sonst haben wir ein Problem mit dir“. Daran ist wieder zweierlei interessant: Greylinger könnte mit dem „wir“ durchaus die Polizei gemeint haben: „Wir hätten das Problem, dass die Amtshandlung mühsam ist, und das wollen wir nicht“.Wenn er aber sagen wollte: Der „Beamtshandelte“ würde ein Problem haben, dann muss man leider entgegnen: Tut mir leid, das hat er gerade eben nicht. Er kommt damit durch.Und das, liebe Polizei, finde ich nicht gut. Integration findet immer im Hier und Jetzt statt und zuständig sind die konkret an der Interaktion Beteiligten (ob das jetzt der Wohnungsnachbar, die Lehrerin, der Polizist oder seine Kollegin oder wer auch immer ist). Da geht es um Zivilcourage, die auch Uniformierte aufbringen sollten.Konkret: Die Amtshandlung macht die Kollegin und sonst niemand. Werden die Personalien nicht bekannt gegeben, fällt das unter Nichtmitwirkung bei einer Amtshandlung, und dafür gibt es ja dann wohl ein weiteres Procedere gemäß Polizistenlehrbuch.Die Art, wie sich seine Kollegen da aus einer unangenehmen Situation „wegducken“, halte ich leider für gesamtgesellschaftlich weitverbreitet. Es reicht aber nicht, Werthaltungen aus einem dicken Buch vorzulesen (oder was immer da „eine Minute nach Grenzübertritt“ passieren soll), sie müssen auch vorgelebt werden. Wenn da sogar die Polizei kneift, laut Innenministerin die „größte Menschenrechtsorganisation Österreichs“, dann wird das aber nichts mit der Integration.

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Spinnchen

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Silvia Jelincic

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