Mein Leben an der Seite eines psychisch Kranken (5)

Als wir wieder einmal mitten in einer sinnlosen Diskussion waren, gingen mir plötzlich die Augen auf – der ist krank im Kopf! Und zwar nicht so dahergesagt, wie man es öfter hört, sondern wirklich. Er kann nicht anders, weil es ihm selbst nämlich nicht bewusst ist.

Ich begann mich einzulesen. Abgesehen von einem psychologischen Grundwissen und generellem Interesse hatte ich in meinem persönlichen Leben nie mit dem Thema zu tun gehabt. Nun wurde mir einiges klarer. Zumindest konnte ich jetzt benennen, womit ich fast jeden Tag konfrontiert war. Da waren einmal Züge einer Depression – ewig langes Schlafen am Wochenende, er schaffte es nicht, vor dem späten Nachmittag ausser Haus zu kommen. Zwanghaftes Verhalten – exzessives Putzen zum Beispiel. Dass dieses Verhalten mit Angst zu tun haben musste, wurde mir auch schön langsam klar. Nur die Ausmasse dieser Angst ahnte ich noch nicht. Stimmungsschwankungen – Persönlichkeitsstörung? Dazu eine ausgeprägte narzistische Persönlichkeit – man sucht permanent Anerkennung, Lob und Bestätigung und fordert diese quasi ein, gibt von alledem aber gar nichts an seine Umwelt zurück, sondern im Gegenteil nur Kritik und Vorwürfe.

Jetzt wusste ich zwar, worum es sich handelte, das half mir aber nicht weiter, wenn es darum ging, die Situation zu verbessern. Ich begann, das Thema vorsichtig anzuschneiden, dass es sich bei seinem Verhalten um eine Krankheit handelte und dass man sicher etwas dagegen tun könnte, Medikamente und Therapie. Damit stieß ich bestenfalls auf taube Ohren, meist aber auf totale, aggressive Ablehnung. Er sei doch kein Irrer, und wolle ich ihn ins Irrenhaus stecken zu den Gestörten? Er ging zum Gegenangriff über und bedachte mich mit Vorwürfen und Beleidigungen aller Art.

Dass die psychischen Störungen oft auf die Kindheit zurückzuführen sind, ist ja allgemein bekannt. Zu dem Thema war er etwas offener. Dass in seiner Familie einiges schiefgelaufen war, hatte er auch schon realisiert. Das führte dazu, dass er nun zwar die Schuldigen an seiner Situation gefunden hatte. Deswegen machte er aber keine Anstalten, selbst etwas zu tun.

Schuld waren immer die anderen oder eine Situation, in der er sich befand. Ein Schuldiger war schnell ausgemacht, natürlich war das oft auch ich. In seinen klareren und liebevolleren Momenten war er auch gewillt, sich zu ändern. Allerdings hing das alles nicht von ihm selbst ab. Wenn das vorbei ist, geht es mir sicher besser, du wirst sehen! Wenn du das machst und das nicht machst, hilft es mir. Wenn der Winter vorüber ist, wird sich alles ändern! Es folgten manchmal auch Momente der Einsicht und der Reue, es tat ihm Leid, wie er sich mir gegenüber verhalten hatte. Er versprach, dass alles besser werden würde.

Ich war zu Beginn noch davon beseelt, helfen zu wollen. Ich gab ihm gutgemeinte Ratschläge und war voller Hoffnung, dass er es verstanden hatte und an sich arbeiten würde. Und er versicherte mir, er würde sich daran halten. Aber in seiner nächsten Angstphase vergass er in der Panik all das, was er sich vorgenommen hatte und fiel in seine üblichen Muster zurück.

Ich schwankte zwischen Verzweiflung und Hoffnung. Meist verfolgte mich der Gedanke „Wie soll das alles weitergehen, wie kann ich das aushalten, soll ich mich trennen?“. Dann erfasste mich der Ehrgeiz und ich wollte so schnell nicht aufgeben. Außerdem - hatte ich nicht gesagt, ich würde ihm in guten und in schlechten Zeiten beistehen? Und manches Mal überzeugte er mich richtig. Ich war sicher, dass alles besser werden würde – bis zur nächsten Enttäuschung.

6
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Bluesanne

Bluesanne bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:09

Herbert Erregger

Herbert Erregger bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:09

U.Peslac

U.Peslac bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:09

Hansjuergen Gaugl

Hansjuergen Gaugl bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:09

Silvia Jelincic

Silvia Jelincic bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:09

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:09

3 Kommentare

Mehr von starkefrau