Sprachbasteleien für urban citizens

Ping! Ein E-Mail vom Musikredakteur. „Was es alles gibt“, schreibt er und verweist aufs Attachment. Eine Einladung: „Wir laden zum Send-off-Event mit Ann Sophie.“ Für alle, die jetzt fragen „Who the f*ck is Ann Sophie?“: Das ist die deutsche Teilnehmerin am diesjährigen Eurovision Song Contest, und ihr Song ist gar nicht übel. Aber darum geht es hier nicht.

"Send-off-Event." Das ist wohl Neusprech für die Abschieds-Aufbruchs-Veranstaltung vor Ann Sophies Reise nach Wien, wo die Sängerin hofft beim diesjährigen ESC unter die ersten 40 zu kommen. Zugegeben, ich wüsste kein deutsches Wort für so eine Veranstaltung. Außerdem gelten englische Begriffe inzwischen als normal, und so spart man sich das Nachdenken. Aber: Who am I to judge? Schließlich habe ich im ersten Absatz gleich 13 englische Wörter verwendet. Oh dear. 15.

Es ist nicht mehr bloß eine Frage der Bequemlichkeit. Ohne Englisch geht heute nichts mehr, es sei denn, man beschließt eine Existenz als sprachliche Einsiedlerin. Dass manche Wörter nur noch in der englischen Version im Umlauf sind, daran haben wir uns gewöhnt, es fällt uns gar nicht mehr auf. E-Mail. Manager. Briefing. Und dann die Berufe, die es nur noch auf Englisch gibt. Was heißt Marketingmanager auf Deutsch? Oder Ramp Agent? Nun, in der Wirtschaft bedeutet Zeit Geld, offenbar will man sich Letztere nicht mehr nehmen, um Berufsbezeichnungen zu übersetzen oder diese Übersetzung auszusprechen, was ja meist länger dauert. Dann eben „Ramp Agent“ statt „Flugzeugbeladungskoordinator“. So what?

In der Alltagssprache gibt es eine gefühlte 30-Prozent-Quote für Englisch. Man sagt nicht mehr „Was zur Hölle...?“ sondern „What the f*ck?“, ein Möchtegern ist ein „Wannabe“, Visagisten und Models rufen „Oh my God!“, eine blöde Kuh ist keine blöde Kuh mehr, sondern eine „B*tch“. Ein Nachrichtenmoderator twitterte in Richtung irgendwelcher Stänkerer: „Get a life!“, eine Wiener Ballorganisatorin beendet einen Gedanken mit „No doubt about it“. Very urban citizen.

(Die Direktübersetzungen aus dem Englischen, das Denglisch, möchte ich an dieser Stelle aussparen. Zu schmerzhaft, vor allem „Am Ende des Tages“ und „Du bist sehr speziell“. Brrr.)

Nun erlebt man mitunter ein gewisses Naserümpfen gegenüber dieser englisch-deutschen Sprachbastelwelt, und nicht nur bei Burschenschaftern. Der Verdacht, hier wolle jemand als besonders gebildet oder welterfahren gelten, liegt schnell auf dem Tisch und ist in manchen Fällen sicher begründet. Wäre ja auch nicht das erste Mal in der Geschichte. Das Englisch von früher war Latein, später war es das Französische, das von der Spitze der Gesellschaft in die Alltagssprache sickerte, wo es natürlich auch der Identifikation, sozialen Abgrenzung oder Selbstaufwertung diente. Man saß auf Kanapees und aß auch welche, wollte einander dabei jedoch nicht inkommodieren, sonst gab’s eine Blamasch, und man ging zum „Friseur“ statt wie in Frankreich zum „Coiffeur“. Ich nenne den „Friseur“ ja gern das „Handy“ der Monarchie, wenn auch der direkte Vergleich nicht passt. Immerhin gab es die "Friseuse" in Frankreich tatsächlich - wenn sie auch nur mit einem Teilbereich der Haupthaarpflege betraut war, nämlich mit dem Brennen von Löckchen. Das "Handy" dagegen ist eine ganz und gar deutschsprachige Kreation und schlicht großartig: Ein Handy ist tatsächlich "handy", also handlich, und liegt bequem in der Hand. Die Amerikaner waren gerade dabei, das Handy ihrerseits in ihren Sprachschatz zu importieren. Leider stellte man fest, dass "Handy" sich bereits als Bezeichnung für eine bestimmte Sexualpraktik breitgemacht hatte, was den Siegeszug unserer genialen Sprachschöpfung aufhielt. Oh well.

So ist das halt mit der Sprache, sie ist spannend und immer in Bewegung, und wer ihre vielfachen, verschlungenen Wege auf reinen "Wannabismus" reduziert, hat nicht verstanden, dass es viel mehr ist als das, nämlich Migration, Kreuzung und Weiterentwicklung. Na gut, ein bisschen Möchtegerntum schwingt immer mit. Hey, relax: Das Streben nach Höherem ist eine der wichtigsten Triebfedern der Menschheit. Ich habe außerdem festgestellt, dass Menschen, die sich über das "Handy" lustig machen, in sprachlicher Hinsicht oft längst in die selbe Falle getappt sind, nur eben mit dem anderen Fuß.

Ich glaube, dass der Import englischer Begriffe, ja ganzer Sätze in der Hauptsache der Bequemlichkeit geschuldet ist. Eine sprachliche Schlamperei, die jede erfasst, die Filme und Fernsehserien im Original sieht, viele englische Zeitungsartikel liest oder mit Freunden aus aller Welt chattet. Chatten! Sie sehen: Man muss nur vor sich hin plaudern, schon landet man über kurz oder lang bei einem englischen Begriff. Es verhindern zu wollen, hieße Maßnahmen anzuwenden wie in der DDR. Die Ostdeutschen kreierten ja seinerzeit interessante Wortschöpfungen, nur um nicht „Breakdancer“ oder „Burger“ sagen zu müssen – die  Sprache des imperialistischen Schweinehunds war verpönt, und so sagte man „Grillette“ und „akrobatischer Volkstänzer“. Von dort bis zu Orwells "doppelplusungut" wär’s nicht mehr weit gewesen. Der „Broiler“ wiederum, das volksrepublikanische Brathuhn, wurzelt im englischen „to broil - braten“, was für mich nur eines beweist: Wenn nicht einmal die Sprachpolizei eines weitgehend isolierten Staatsexperiments dem Englischen zu entrinnen vermag, dann schaffe ich es erst recht nicht. Macht nichts. It's not the end of the world.

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doebeler

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Stephan von Spalden

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Silvia Jelincic

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