Zitat: "Ich denke, wir müssen uns ohnehin von dem lange vorherrschenden humanistischen Ideal eines rationalen, eigenständig denkenden Menschen verabschieden. Wir Menschen sind nicht von Vernunft und Weisheit alleine angetrieben. Wir handeln in vielen Situation intuitiv und rationalisieren unsere Handlungen erst im Nachhinein. Als soziale Wesen orientieren wir uns fast immer an dem, was andere Menschenen denken, meinen und tun. Aus neurowissenschaftlichen Studien weiß man, dass wir gar nicht in der Lage sind, solche Einflüsse auszublenden. In einer psychologischen Masse mulitpliziert sich dieser Effekt sozialer Einflüsse natürlich enorm. Schon in Gruppen verringert sich das individuelle Verantwortungsgefühl. Wenn ich Teil eines Mobs bin, dann löst sich das Empfinden persönlicher Verantwortung in nichts auf. Die Verantwortung wird an die Gruppe, an den Mob abgegeben" (Psychologie Heute, Juni 2016, "Im Fokus: "Eine Masse ist nich zugänglich für Vernunft", Thomas Brudermann)

Der Mob seinerseits, trägt keine Verantwortung und darum gibt es auch Niemanden der zur Verantworung gezogen werden könnte.

Die Individualität löst sich auf und verliert sich in der Masse. Die Masse (der Menschen) regiert, gesichtslos, wütend, zornig und stürmt über alles hinweg was sich in den Weg stellt. Aggression pur wie in Clausnitz (Menschen stellen sich vor einen Bus mit Flüchtlingen und möchten sie raus holen) und Bautzen (mit Begeisterung wird zugesehen, wie eine Aufnahmeeinrichtung in Flammen aufgeht) werden immer wahrscheinlicher.

Und? Wir schauen zu!

Es reicht ein kleiner Funken, eine Meldung auf FB, ein schlechtes Video, und der Mob bricht aus. Flashmob. Unreflektiert und ungebremst wird spontan etwas für wahr gehalten, was genauer betrachtet und überlegt, nicht oder nur halbwahr ist. Aber in Zeiten wie diesen, wo in Sekundenschnelle alles was einem in den Kopf schießt gepostet und online gestellt ist, kann genauso schnell ein Massensturm losbrechen.

Da gibt es die einen, die sich unter Alkoholeinfluss zusammenrotten und zB nach einer Sportveranstaltung aufeinander losgehen. Hinterher sind sie alle wieder Freunde.

Dann gibt es die andere Gruppe die viel gefährlicher ist, die aus einem Volkszorn erwächst, nüchtern ist und jetzt das Problem selbst in die Hand nehmen möchte. Ähnlich wie bei der französischen Revolution. Niemand wurde verschont, auch die wirklich Guten nicht. Es wurde und konnte nicht mehr unterschieden werden zwischen gut und böse, richtig oder falsch, sondern jeder agierte anonym in und durch die Masse; entfesselt im eigenem "gerechten Kampf" für das Gute, das Ziel.

Bis es so weit kommt dauert es eine Weile, bis sich so viel Volkszorn anstaut, vergeht einige Zeit. Im Moment passiert eine unterschwellige gesellschaftliche Entwicklung die den Boden für Ausbrüche dieser Art aufbereitet. Es kann wieder sehr explosiv werden. Die Stimmung in der Bevölkerung ist angespannt, viel Ungewissheit, viel aufgestaute Agression, viel Unmut über die bestehende Verhältnisse, viel Hilflosigkeit und Verlustangst.

Gleichgesinnte finden sich dank FB und anderer sozialer Medien immer besser zusammen. Wer sich früher mit seiner Meinung als "alleinestehend" empfand fühlt sich durch all die Freunde, die das Gleiche wollen und womöglich gleich kampfbereit sind, in seinen Ideen und auch in seiner Agression bestätigt. Zum nächsten Schritt, dem Handeln, fehlt dann oft nicht mehr viel und der Mob bricht los.

Die Politik schaut da bisher tatenlos zu, bzw. in ihrem "harmlosen" werbestrategischem Denken, Ressentements (heimlicher Groll) zu schüren und den anderen nieder machen, wissen sie gar nicht was sie tun. Die BP-Wahl hat schon tief blicken lassen. Anstatt, das Gräben aufreissen, vorzeitig zu unterbinden und sich nicht gegenseitig mit Dreckkübeln zu überschütten wurde das "Lagerdenken" noch befeuert. Gräben die in geradezu naiver Weise aufgerissen wurden, bleiben Gräben und lassen sich auch nach Jahren immer wieder aktivieren. So ist das menschliche Konfliktverhalten nun einmal. Verbrannte Erde unter Konfliktparteien bleibt lange Zeit verbrannt und es dauert lange bis wieder Vertrauen geschaffen wird. Auch wenn das Gras nachwächst, verbrannte Bäume stehen noch nach Jahren als Mahnmal, dass es wieder so weit kommen kann und dass bei Gott noch nicht alles vergessen ist, im Land.

Es ist schon fast verantwortungslos, wie wenig harmonisierend und beschwichtigend Wahlkämpfende in Zeiten wie diesen agieren. Ich denke, sie verstehen die Zeichen der Zeit nicht. Jeder Friede kann sich rasend schnell auflösen, wenn die richtigen Menschen im richtigen Moment aufeinander treffen.

Naiv zu denken, dass es ja "nur" ein Wahlkampf ist, oder eine Veranstaltung, oder etwas anderes. Das war einmal, so einfach darf man das nicht mehr sehen. Es ist zwar "nur" Wahlkampf aber für manche ist es Ernst. Der Ernst der Sache und weitere Anwesende lassen eine Eigendynamik der Gewaltbereitschaft entstehen die schwer vorhersehbar und noch schwerer unter Kontrolle zu bringen ist.

Im Grunde tut "man" nur, was die anderen der Gruppe auch tun, schreien, um sich schlagen, laufen - all das schaukelt sich immer weiter auf. Gewaltbereitschaft konfrontiert mit dem gegnerischen Lager lässt alle guten Sitten vergessen. Grün wie Blau / Blau wie Grün. Wer sich in einer Masse Gleichgesinnter befindet, agiert Massenkonform. Es gibt keinen der sein Tun hinterfragt, es gibt keinen Widerspruch und schon gar keine plötzlich entstehende Diskussion, warum das jetzt gerade passiert und ob es sinnvoll ist weiter zu machen, ob es keine andere Form der Auseinandersetzung gäbe.... Wichtige Fragen, die aber nicht gedacht werden.

In einer Gruppe von 100 Individuen reichen 1-2 Personen die anstacheln, anfeuern und sich als Wortführer hervortun. Manchmal reicht auch ein einheitliches Nach-Vor-Gehen und es kommt zur gewalttätigen Auseinandersetzung. Wer weiß das schon, Massenbewegungen sind unberechenbar und unvorhersehbar ist das Potential an Gewaltbereitschaft und Agression.

Ein zündender Funkt und die Masse brennt für ihr Anliegen, es ist ein gemeinsames Anliegen, ein gemeinsames Gefühl, ein gemeinsames Ziel. Keine Emotionen wie Zorn und Angst sind ähnlich motivierend und ähnlich kampfbereit. Diese starken Emotionen machen kampfbereit und sorgen für die Gleichrichtung in der Gruppe um auch Siegen zu können. Dieser Gleichschaltung ist alles individuelle Untergeordnet.

Wer, sagen wir, aus dem Bauch heraus reagiert und das passiert in dem Moment wo unser Reptiliengehirn die Oberhand gewinnt, ist in keinster Weise aufgeschlossen gegenüber Vernunft, Beschwichtigung oder sonstigen Argumenten. Die Masse, die Gleichschaltung und die Reduzierung der Selbstwahrnehmung ruft unsere Urverhaltenweisen auf den Plan, bis hin zum völligen Kontrollverlust. Eigentlich ist man in dieser Zeit der kollektiven Agression, unzurechnungsfähig.

Schon in einer kleinen Gruppe (Team) sinkt das Niveau mitunter auf den Durchschnitt, je nach dem wer sich am Meisten zu Wort meldet und wer die Leitung des Teams für sich in Anspruch nimmt. Umsomehr sinkt im Verhältnis das intellektuelle Niveau einer Masse, entsprechend derjeniger die sich als Wortführer hervor tun.

Zitat: C.G.Jung: "Eine große Gesellschaft, aus lauter trefflichen Menschen zusammengesetzt, gleicht an Moralität und Intelligenz einem großen, dummen gewalttätigen Tier." Wie trefflich formuliert, denn nichts anderes ist die Reduzierung unseres Verhaltens auf die Möglichkeiten unseres "Reptiliengehirns".

In Filmen über antike Kriege oder auch alle anderen Kriege früherer oder jüngerer Zeit kann man es immer wieder sehen,- alle laufen, wie ferngesteuert gegen den Feind an. Würde da einer denken, würder er da niemals hin, mit und in den Tod laufen. Das sind Urinstinkte, die lassen sich auch mit noch mehr Zivilisation nicht abschalten.

Zwei Problemkreise sind dzt auszumachen: Ansteckung mit hetzerischen Gedanken die sich rasend schnell verbreiten und soziale Ängste die sich in Angst vor der Zukunft zeigen. Unsicherheiten prägen und gefährden unseren Alltag.

Sicherheit ist ein Grundbedürfnis, kann es nicht befriedigt werden, regiert Angst und Zorn. Das sind die Rahmenbedingungen die wir haben. Wer den Menschen Sicherheit verspricht hat per se gewonnen, hat die Masse an seiner Seite, denn nichts ist attraktiver als jemand der Sicherheit gewährt. Ob derjenige sie dann tatsächlich gewährleisen kann oder nicht, spielt keine Rolle, derjenige hat die Menschen und ihr Bedürfnis verstanden - nur das zählt. Wer sich auf unsicherem Gelände wähnt, wählt Sicherheit, es sei denn, der oder die haben noch eigenen Handlungsspielraum und fühlen sich nicht auch noch entmachtet, also ihrer Möglichkeiten zum selbstbestimmten Leben beraubt. Wie auch immer. Die Reizschwelle der Einzelnen ist idividuell und von den Rahmenbedingungen abhängig. Die Rahmenbedingung sind schlecht.

Die Rahmenbedingungen unter denen viele leben müssen sind unser Hauptproblem, was aber nicht wahrgenommen wird. Wahrscheinlich auch aus dem Grund, weil die die es tatsächlich betrifft sich lieber mit Dingen beschäftigen die sie meinen, unter Kontrolle haben zu können. Das ist ein trügerisches Bild. Denn diese Leute können auch, was sie meinen kontrollieren zu können, nicht mehr kontrollieren.

Das System ist der Feind, der Feind allerdings ist nicht nur völlig im Dunkeln und verschwommen er ist in einem Masse übermächtig, dass Kapitulation als einzig sinnvolle Maßnahme in Betracht gezogen werden muss, jedenfalls für die Masse an Menschen die es betrifft. Da wenden wir uns doch lieber harmloseren Feinden zu....

Wohnungsnot, Ausdünnung der Dörfer, Konkurse von Kleinunternehmen, Bauernsterben, Bildungsmisere, Arbeitslosigkeit, Kriminalität, zu geringe Löhne; es wird nicht das große Ganze angeschaut und bemerkt wo überall das System mangelhaft ist. Nein, lieber schaut man auf die einzelenen Aspekte und sieht die Flüchtlingsbewegung als würdigen Gegner den man bekämpfen kann. Ein ganzer Problemberg reduziert auf einzelne Aspekte. Nicht jeder ist von allem betroffen aber für jedes Problem passen unsere neuen Mitbewohner. So lässt sich der Feind in kleine "Häpchen" teilen, die zusammengefasst einen Schuldigen ergeben, jemand der greifbar und auch angreifbar ist.

Das System ist ein Phantom und ein Phantom kann nicht angegriffen werden. Viele Ökonomen bemühen sich zwar derzeit ein Bewusstsein zu schaffen und unserem Phantom ein Bild zu geben, damit wir erkennen können worum es sich handelt, aber die Zusammenhaänge sind dermassen komplex und weltumspannend, dass unsere Mittel äusserst beschränkt sind. Gegen etwas oder jemand zu kämpfen der überall und nirgends und dann auch noch gleichzeitig überall ist - wer oder was ist das?

Die für mich interessante, abschließende Frage, die umgehend beantwortet werden muss, ist. Kann es wieder zu kollektiven, agressiven Flächenbränden, wie vor dem zweiten Weltkrieg, kommen? Zu Phänomenen wie im Mittelalter dem Sturm auf die Bastille, der französichen Revolution?

Klar! Warum nicht? Angesichts der Veranschaulichung dessen, wie wir uns anscheinend fort-u.abwärts-entwickeln sind solche Phänomene mehr als möglich. Eben auch im Bezug auf die Möglichkeiten die Massenkommunikationsmittel - die gab es früher nicht einmal - bieten. Schnell sind da zwei gegnerische Gruppen aufgestellt, wenn es sein muss.

Die Hemmschwellen sinken, was jeder der sich in FB aufhält unschwer feststellen kann. Ich frage mich oft, warum so böse? Was um alles in Welt steht auf dem Spiel um solche Verbalattaken reiten zu müssen....?

Je weniger dagegen vorgegangen wird und je mehr sich die Leute damit abfinden und "anfreunden" bzw es als normal ansehen umso weiter sinkt das gegenseitige Wohlwollen. Wohlwollen ist ein Stützpfeiler unserer Gesellschaft. Leider gibt es immer noch hemmungslos naive Menschen, die meinen jeder der vernunftbegabt wäre, würde diese Vernunft auch anwenden - nein - genauso wenig wie jene die hinter jeder Aussage eines vermeintlichen Feindes, eine Bestätigung ihres imaginären Feindbildes sehen.

Das systematische Absenken der Reizschwelle und der Gewöhnungseffekt, dass Grobheiten normal sind, führt mehr und mehr zu Tabubrüchen.

Was manuell agressiv, das Treten ins Gesicht ist, ist verbal agressiv die massive Herabwürdigung einer Person und der Wunsch dass diese zu Tode kommt.

Die Parallelen ähneln sich, damals und jetzt, aber die Zeichen der Zeit werden, damals wie heute ignoriert und nicht ernst genug genommen, das ist das Schlimme daran.

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Margaretha G

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