Als vor vielen Jahren mein deutlich idealistischeres, jüngeres und naiveres Ich das erste mal mit einem selbst erklärten Fundamentalisten plauderte war ich noch davon überzeugt davon dass einige Dinge universal seien. Eines dieser universalen Dinge sei es das einen guten Menschen nicht ausmacht was er ist sondern was er tut. Ein Kind das von einem Mörder gezeugt wurde ist kein schlechter Mensch nur weil sein Vater fürchterliche Dinge getan hat. Uns würde weder unsere Herkunft noch unsere Hautfarbe noch unser Glauben definieren, noch nicht Mal unsere Motivationen und die Gründe warum wir tun was wir tun.

Was zählt sei nur was wir tun und wenn jemand die Welt in Summe besser macht, dann ist er ein guter Mensch.

Das es hier dann Wahrnehmungsunterschiede gibt „was gut ist“ ist offensichtlich aber genau daraus entstünden dann eben unterschiedliche Weltsichten und Wertvorstellungen und Ansichten darüber wer nun gut ist und wer noch. Ich hielt diese Ansicht für derart offensichtlich das ich absolut perplex war als mir mein Gesprächspartner widersprach.

Gut sei man wenn man zur richtigen Gruppe gehöre, (zB. dem „richtigen Glauben“ angehöre), wurde ich informiert. Alles was die Guten tun sei gut und alles was die anderen tun sei eben schlecht. Um gut zu sein müsse man sich der „Wahrheit ergeben und unterwerfen“. Tut man das wird man, sowie alles was man tut, gut.

Seither sind viele Jahre ins Land gezogen und ich habe akzeptiert dass Menschen das eben so sehen.

Nicht Einige.

Die Meisten.

Und das ist verständlich.

Menschen sind ihrer Natur nach eben tribalistisch, das bedeutet sie denken in Stämmen. Diese Stämme waren einstmals die fünfzig Leute die am gleichen Ort lebten, heute nimmt diese Funktion alle möglichen abstrakten Formen an: Sportclubs, Kirchen, Nationen, Parteien, Ideologien und so weiter.

Der Tribalist geht dabei einen kognitiv nicht sonderlich anstrengenden Weg: er evaluiert nicht ob jemand etwas Gutes tut sondern nur zu wem er gehört (hierzu bezieht er sich auf Kleidung, Hautfarbe, Sprache etc).

Evolutionär gesprochen macht das auch absolut Sinn.

In der frühen Vorzeit, als zwei Stämme sich begegneten war der vorsichtigere Stamm, also jener der davon ausging dass die anderen (weil sie „die Anderen“ sind) potentielle Räuber und Mörder sein könnten, im Vorteil gegenüber jenen die allen mit einem „open Mind“ begegneten.

Zu wissen wer „wir“ sind war daher entscheidend und eigene Missetaten zu entschuldigen stärkte den Zusammenhalt was wieder die Überlebenschance des Stammes erhöhte, denn Stämme die sich darüber stritten ob es nun moralisch war dem Stamm da hinten die Kuh zu klauen, hatte einen Nachteil gegenüber jenen die es einfach rechtfertigten und abnickten.

Entschuldigt das den Tribalismus?

Nicht wirklich.

Es bedeutet nur dass es verständlich ist woher er kommt. Es steht außer Frage dass eine differenziertere Sicht, also ein Fokus auf die Idee dass „Gut ist wer Gutes tut“ deutlich besser ist als Tribalismus, sofern man eben die Energie hat das zu tun, versteht sich. Aber die hätten wir ja im Hier und Jetzt.

Dennoch besticht der Tribalismus mit zwei entscheidenden Vorteilen: er ist so einfach und weit verbreitet. Wann auch immer man sagt „wir sind gut und die sind das Problem“ wird man eine grölende Menge finden die einem zustimmt und um entsprechende Slogans zu erfinden braucht es keine sonderliche Anstrengung.

Die Motivation seinen Tribalismus hinter sich zu lassen ist damit gering und damit etwas mit dem sich ein kleiner Teil der Bevölkerung beschäftigt.

Tribalismus ist, wenn man seinen Elfenbeinturm verlässt, die absolute Norm "da draußen". Und blickt man dann zurück zum Elfenbeinturm muss man erkennen dass auch im Elfenbeinturm genau der gleiche Tribalismus vorherrscht wenn dort von „den Ungebildeten“ gesprochen wird.

Das Stammesdenken ist die soziale Norm nicht erst seit es Menschen gibt sondern schon deutlich länger. Es ist eine Denkweise die so tief in uns verwurzelt ist dass wir sie vermutlich als Instinkt verstehen müssen. Den Tribalismus zu überwinden ist daher eventuell nicht möglich.

Es gilt ihn aber zu verstehen. Verstehen wir diese Impulse, die uns dazu bringen jemandem zu widersprechen noch bevor wir ihm zugehört haben, bringt uns das gesellschaftlich weiter und ermöglicht uns eine neue Form der Kooperation.

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Kai-Uwe Lensky

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Matt Elger

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