Arme Deutsche sind unangenehm. Kosten zu viel Geld, saufen und rauchen, wohnen in verschimmelten Wohnungen oder unter Brücken, essen Aldi-Wurst, stinken und reden komisch. Und wollen das gar nicht anders!

Unterschicht halt.

Muss man sich nicht mit abgeben wollen. Haben auch kein Mitleid verdient. Konstatiert SPIEGEL-TV am Sonntagabend kühl auf RTL.

Allerdings, da ist ja noch das Problem mit den Kindern. Die erwecken am Ende doch noch Mitleid beim ruhig zu haltenden Bürger. In ihren dünnen, abgetragenen Klamotten, mit ihren ewig hungrigen Gesichtern.

Und das im Wahljahr?

Da muss doch was zu machen sein!

Klar. Einfach. Zuerst eine Kinder-Gruppe zusammentreiben, die – eigentlich ein Unding im Deutschland dieser Tage – fast ausschließlich aus blassen, kleinen Hiesigen besteht. Müssen nicht unbedingt niedlich sein. Wirklich nicht. Dafür gern ein bisschen runtergekommen, gern ein bisschen schmierig.

Kennen wir das nicht von irgendwoher? Klar. Alte Tricks aus düsteren Zeiten. Funktionieren aber immer noch. Dann schwätzt eine ‚Helfer-Tante‘ aus einer Art Aufbewahrungs-Suppenküche über speziell diese Sorte Kinder und deren verrottete Eltern. Keine Manieren die einen, Schuhe ohne Sohlen, dreckig und dumm. Und dann die Eltern! Säufer. Raucher. Rauschgift süchtig. Faules Pack halt. Also Mitleid hat sowas eindeutig nicht verdient. Na? Das ist doch mal ausbaufähig!

Jetzt schwärmt ein Kamera-Team freudig zur Mutter aus, begierig auf jedes Stück Dreck. Und zu den Kindern, die sich beinahe freuen. Ist zum Totlachen, wie die alle denken ihnen solle geholfen werden. Da ist es doch wirklich schön, dass die Frau nicht imstande ist, die dahinter stehende Absicht zu begreifen und den Dreh zulässt. Also. Immer feste drauf auf die schlampige Alte. Und das gruselige Essen. Die schimmligen Wände. Die kaum vorhandenen Mülltonnen-Möbel. Und dazu hübsch garniert ein paar Sätzchen mit Pseudo-Mitleids-Attitüde – aber so richtig schön von oben herab. Die merkt immer noch nichts? Klasse! Also noch ein paar Gemeinheiten drangehängt. Spott und Hohn kommen auch immer gut.

Im Propaganda-Gewerbe.

Denn genau das ist es. Küchen-Psychologie für die Massen. Billig-Propaganda und kein Journalismus. Und es klappt wunderbar.

(Im anschließenden Beitrag werden dann meist ein paar hübsche kulleräugige Kinderchen mit weißen Söckchen und Adidas-Pullöverchen gezeigt, die anscheinend schlapp in den Armen ihrer (dicken) verschleierten Mütter hängend vom Hungertod und besonders von bösen hiesigen Menschen ohne Mitleid bedroht sind. Die sich weigern, alle Nicht-Deutschen auf der Welt hierher zu holen und zu versorgen. Denn irgendwo ganz, ganz weit weg zu sein - ohne deutsche Steuerzahler als spendable Geld-Schenker - ist ja an sich schon eine Bedrohung.)

So. Das wäre die – zugegeben etwas subjektive – Wiedergabe der wöchentlichen SPIEGEL-TV Ausgabe auf RTL gewesen. Nichts Besonderes also.

Doch diesen Sonntag ist den Redakteuren (?) eine – nicht genug hervorzuhebende – Besonderheit eingefallen. Sozusagen die Ultima Ratio der widerwärtigen Propaganda-Berichterstattung. Masche. Goebbels hat in der Hölle bestimmt Beifall geklatscht.

Um das genauer zu erklären, erst mal eine Frage. Kennen Sie Charlie Chaplins grandiosen Film 'Ein König in New York‘? Ich hoffe doch, bin aber wenig zuversichtlich. Wie auch immer.

Innerhalb dieses Films erzählt Chaplin die Geschichte des kleinen Jungen Rupert, dessen Eltern als Kommunisten ‚Böses' gemacht haben sollen. Rupert, in einem Gefängnis-ähnlichen Heim vor Angst fast sprachlos, wird auf Geheiß der Aufseher von anderen Kindern gepeinigt und von den Aufsehern und allerlei Männern in Anzügen pausenlos schleimend bedrängt, doch deren ‚Wahrheit‘ zuzugeben. Für seine Eltern. Denn wenn er sagt, was er sagen soll, darf er zurück zu seinen Eltern! Und das wäre doch gut für alle.

Völlig erschöpft und verängstigt lässt sich Rupert überreden, die vorgegebene Wahrheit einzugestehen. Vom Staat belobigt, zerfällt sein Ich in ein jammervolles Nichts als er begreift, dass er seine Eltern ins Gefängnis geredet hat.

Ich habe das übrigens immer für eine Anspielung auf den Fall Rosenberg gehalten; jedenfalls war es Chaplins hilflos wütende Abrechnung mit der McCarthy-Ära, einer der dunkelsten Zeiten der USA.

Die hierzulande eben heraufdämmert.

Und das war es. Was mir beinahe auf der Stelle einfiel, als ich - seit langer Zeit mal wieder und eher aus Versehen - bei dieser ‚SPIEGEL-TV-Reportage‘ hängen blieb. Dieser Film, diese Peiniger und dieser Junge. Rupert.

Warum?

Weil die SPIEGEL-Reporter (das schmerzt richtig, die so zu nennen) sich in der kostenlosen Essens-Einrichtung an ein armes kleines Würstchen ranmachten, es separierten und anscheinend solange piesackten, bis das hilflose Kind verschüchtert eingestand: „Doch, ja. Mama und Papa trinken Alkohol. Und rauchen. Und kochen nicht. Und…

Oder so ähnlich.

Ich habe es nicht mehr wörtlich im Sinn, mir ist beim Zuhören vor Wut fast übel geworden.

Wie ist so was überhaupt möglich?

Seit wann darf in Deutschland – was für ein Drecksack auch immer – ganz öffentlich ein Kind mit Stasi-Verhör-Methoden zwingen, seine Eltern anzuschwärzen? Obgleich es das sichtlich nicht will? Und ganz ohne Rücksicht auf Verluste?

Denn was – ihr SPIEGEL-Widerlinge – denkt ihr wohl, wird dem Kind zu Hause blühen? Wenn die niedergemachten Eltern die Ausstrahlung sehen? Wenn die auch nur annähernd so fies sind, wie ihr dem Kind in den Mund gelegt habt?

He?

Selbst wenn es nette Menschen sind, werden sie verletzt sein. Und wütend. Ganz egal wie, das Kind hat dank eurer unmenschlichen Tat keine besonders schöne Ostern zu erwarten.

Und. Nein. Mir fehlen nicht die Worte. Nicht dieses Mal. Ich habe eher zu viele davon. Fast keins eignet sich dafür, es hier hin zu schreiben. Aber ich bin erstaunlicherweise immer noch sehr zuversichtlich, dass ich eigentlich keines davon hierhin schreiben muss. Denn ich glaube tatsächlich, dass beinahe jeder Mensch, der sich auch nur am Rande so nennen wollte, vor Ekel über diese Aktion und vor Mitleid mit dem Kind ganz von allein die richtigen Worte für euch findet.

Eins allerdings muss ich zugeben.

So ganz habe ich selbst tatsächlich bisher nicht das richtige Wort gefunden.

Das ultimative.

Das euch beschreibt.

SPIEGEL-Journalisten.

FinisNoXx

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