Krebs und Strahlentherapie; die Vision eines SM-Studios

Drei Jahre ist es nun her, dass ich zum zweiten Mal auf onkologische Reha gefahren bin. Diese drei Wochen waren unglaublich notwendig nach der siebenwöchigen kräfte- und gewichtsraubenden Chemo/Strahlentherapie, die Mitte November 2011 zu Ende ging. Danach verbrachte ich zwei Monate schlafend, sprachlos und mit einem Infusionsständer verbunden meine Tage zwischen Couch und Schlafzimmer.

Strahlentherapie, das war auch heute im Nachhinein beinahe das noch belastendere Problem, als die große Operation. Irgendwie hatte ich überhaupt eine vollkommen naive Vorstellung, wie eine derartige Therapie ablaufen würde. Ich war im Sommer im MRT und im PET-CT und hatte dabei eine Assoziation mit einem Solarium, was durchaus positiv, war, denn das gab mir ein sicheres Gefühl. Es gibt ja genug Menschen die in diversen Röhren unter massiven Ängsten leiden, dazu wollte ich nicht gehören. Ich hatte die Idee, dass eine Bestrahlung ähnlich ablaufen würde und fühlte mich gut eingestimmt auf je fünf Einheiten über sieben Woche im Linearbeschleuniger.

Ende August hatte ich einen ersten Besprechungstermin mit meinem Strahlentherapeuten. Er erklärte mir sehr detailreich die ganzen technischen Abläufe und ich verließ mit einem sehr guten, aufgeklärten Gefühl das Besprechungszimmer. Er berichtet mir, dass es sogar Patienten gibt, die während der Therapie zumindest stundenweise in die Arbeit gehen würden, dass aber die Wahrscheinlichkeit bei Kopftumoren eher ausgeschlossen wäre. Ich zählte mich zu jenen, die jeden Tag locker mit dem Bus zum Termin erscheinen, vom Auto fahren wurde mir abgeraten.

Ich bin Anfang September direkt von der Klinik nach Bad Reichenhall in eine Spezial-Rehaklinik für Anschluss Heilbehandlungen für Kopftumore gewechselt. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon fast 10 Kilo verloren und sah es als notwendig an, mich vor der Therapie ein wenig aufpäppeln zu lassen. Während dieser drei Wochen wurde ich nochmals auf die Radiologie zu einem weiteren Termin bestellt. Es ging um die Maskenanpassung und den genauen Bestrahlungsplan. Für das Personal ein reiner Routineablauf und für mich ein absoluter Horrortrip. Ich musste meinen Oberkörper frei machen und mich auf einer Liege platzieren, damit die Kunststoffmaske angepasst werden konnte. Dabei handelt es sich um ein grobes Kunststoffnetz, das im feuchten Zustand genau über das Gesicht gelegt wird, ähnlich wie ein Gipsverband. Man verharrt dann bis das Teil getrocknet ist. Mein Oberkörper blieb unverdeckt. Dem Personal wird das relativ egal gewesen sein. Reine Routine. Anschließend wartete ich in einer Kabine auf das weitere Procedere. Immer noch mit unverdecktem Oberkörper. Danach wurde ich in einen weiteren Behandlungsraum gebeten, in dem eine Simulation im CT durchgeführt wurde. Ich bekam eine abgeschnittene Spritzenröhre zwischen die Lippen gesteckt, damit ich die verbliebene Zunge nicht bewegen konnte. Ich musste mich auf die CT-Liege legen und die angepasste Maske wurde angelegt und am Untergrund fixiert und das CT-Gerät wurde geschlossen. Auch hier war mein Oberkörper immer noch unbedeckt. Plötzlich überkam mich die abartige Vision, ich würde mich in einem SM-Studio befinden und irgendjemand könnte meine hilflose Situation ausnützen um mir heißes Wachs auf meinen entblößten Oberkörper tropfen zu lassen. Ich wäre am liebsten aus der Röhre geflüchtet, oder wollte zumindest laut schreien, doch beides war nicht möglich. Ich war auch unfähig, mich in irgendeiner Weise zu dem Erlebten zu äußern. Die Folge war, dass ich dann bis zum eigentlichen Bestrahlungstermin zeitweise unter echten Alpträumen litt, nicht nur im Schlaf, sondern auch tagsüber.

Erst nach einigen Wochen, als ich mich mitten in der Therapie befand, hatte ich endlich die Kraft dieses Erlebnis einer der jungen Radiologinnen in einem Gespräch zu erzählen. Sie war wirklich sehr erschrocken, und entschuldigte sich auch für ihre Kollegen für diese unüberlegten Routineabläufe.

Meines Wissens werden seit diesem Zeitpunkt Kopftumorpatienten bei sämtlichen Abläufen während der Maskenanpassung und Simulation am Oberkörper abgedeckt.

Ich war übrigens real nie in einem SM-Studio.

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Kristallfrau

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Silvia Jelincic

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fischundfleisch

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