Jean-Paul Sartre und der atheistische Existentialismus

Foto Korda: Simone de Beauvoir, Jean Paul Sartre und Che Guevara in Kuba

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Jean-Paul Sartre (21. Juni 1905 – 15. April 1980) ging davon aus, dass sich der einzelne Mensch erst durch seine Handlungen definiert. Der atheistische Existentialismus erklärt, dass, wenn Gott nicht existiert, "es mindestens ein Wesen gibt, bei dem die Existenz der Essenz vorausgeht, ein Wesen, das existiert, bevor es durch irgendeinen Begriff definiert werden kann, und dass dieses Wesen der Mensch oder die menschliche Wirklichkeit ist." Das bedeutet, dass der Mensch zuerst existiert, sich begegnet, in der Welt auftaucht und sich danach definiert. Der Mensch ist durch seine Geburt in die Existenz „geworfen“ und er muss selbst versuchen dem Leben einen Sinn zu geben. Anfangs ist das menschliche Individuum weder gut noch böse, sondern neutral wie die unbelebte Realität. Erst durch sein Handeln entscheidet das Individuum und entwickelt einen bestimmten Charakter. Es kommt darauf an, sich dieser Verantwortung zu stellen, sich nicht hinter Traditionen, Religionen und Ideologien zu verstecken, auch wenn dies Angst hervorruft. Der Mensch ist dem Menschen verantwortlich und nicht einem imaginären höheren Wesen.

Wenn die Existenz der Essenz vorausgeht, ist der Mensch also verantwortlich für das, was er ist und wegen seiner Freiheit ist der Mensch keinem Gott verantwortlich, er ist verantwortlich für sich und für alle Menschen. Somit ist der erste Schritt des Existentialismus, jeden Menschen in Besitz dessen, was er ist, zu bringen und auf ihm die gänzliche Verantwortung für seine Existenz ruhen zu lassen. „Der Mensch ist dazu verurteilt, frei zu sein. Verurteilt, weil er sich nicht selbst erschaffen hat, und dennoch frei, weil er, einmal in die Welt geworfen, für all das verantwortlich ist, was er tut.“

Sartre gilt als der Vordenker und Hauptvertreter des atheistischen Existentialismus. 1951 veröffentlichte Jean Paul-Sartre das Theaterstück, „Der Teufel und der liebe Gott“. In drei Akten und elf Bildern wird die Problematik „Moral und Revolution“ sowie der Grundriss von Sartres Existenzphilosophie anschaulich dargestellt. Der Ort der Handlung ist das Deutschland der Reformationszeit.

Götz, ein adliger Feldherr, der stets „Böses tut um des Bösen willen“, als äußerste Herausforderung Gottes, der „Anarchist des Bösen“, zieht brandschatzend und mordend mit seinen Truppen durch die Lande. Im Jahre 1524, ein Jahr vor dem großen Bauernkrieg steht er mit seiner Armee vor Worms. Während der Belagerung der Stadt gerät der Bäcker und Revolutionär Nasty in seine Gewalt, der ihn davon überzeugt, dass er mit seinem Verhalten nur die gegenwärtige Ordnung stützt und somit ein Werkzeug der Herrschenden ist. Darauf würfelt Götz mit der gefangenen und misshandelten Katharina um das Leben der rund 20.000 Einwohner der Stadt. Gewinnt er, wird Götz mit seinen Truppen Worms niederbrennen und die Einwohner der Stadt massakrieren. Verliert er, so will er die Belagerung aufheben und ein guter Mensch werden. Götz spielt absichtlich falsch und verliert. Er fordert nun Gott heraus, denn Gott hat gewollt, dass das Gute auf Erden unmöglich sei. Nach seiner Wandlung versucht Götz nur noch Gutes zu tun um Gott gefällig zu sein. Er verschenkt seine Ländereien an seine Untertanen und errichtet auf seinem Land einen „Sonnenstaat“ der Nächstenliebe. Aber wieder richtet er nur Unheil an, sein „Sonnenstaat“ scheitert. Seine Bauern werden erschlagen, weil sie nicht am Aufstand gegen die übrigen Lehnsherren teilnehmen wollen und der anschließende Aufstand droht zu scheitern, weil Götz sich weigert ihn anzuführen. Nach einer vernichtenden Niederlage der Aufständischen mit 25.000 Toten erkennt er, dass seine Ablehnung die Truppen anzuführen viele Tote verursacht hat. Götz erkennt seine Mitverantwortung für den Tod der Aufständischen. Er begreift, wenn die Reichen gegeneinander Krieg führen, sterben die Armen. Götz begreift ein weiteres Mal zu scheitern und so betrügt er zum zweiten Mal. Er will die Sünden der sterbenden Katharina auf sich nehmen und ersucht Gott um ein Wunder. Gib mir deine Wunden, gibt mir deine Wundmale, bittet er Gott. Das Wunder bleibt aus, worauf sich Götz mit seinem Dolch in die Handflächen und in die Rippen sticht um wundersame Stigmata vorzutäuschen. Katharina stirbt, ohne an den Betrug zu glauben, aber die Bauern, glauben an das „Wunder“. Götz erkennt: Gott vernichtet den Menschen ebenso sicher wie der Teufel. Und so entscheidet Götz, dass weder Gott noch der Teufel existieren. Götz im elften Bild: “Ich habe Gott getötet, weil er mich von den Menschen trennte, und nun macht mich sein Tod noch einsamer. Ich werde nicht dulden, dass dieser große Leichnam meine Menschenliebe vergiftet: Wenn nötig lasse ich die Bombe platzen.“ Zwischen Gott und Teufel erwählt er den Menschen, wodurch Götz zum Menschen bekehrt wird. Er bricht mit der absoluten Moral und entdeckt oder erfindet eine menschliche, konkrete, historische Moral. In seiner konkreten historischen Situation ist es unabwendbar, Leiden zu verursachen um größeres Leiden abzuwenden. Götz, der sich aus Güte und Milde weigerte, den Bauernaufstand zu organisieren, schließt sich den Aufständischen endlich an. Als erste Konsequenz aus dieser neu erlangten Moral übernimmt Götz die ihm von Nasty angetragene Führung der Aufständischen und ersticht den ungehorsamen Offizier, der ihm nicht folgen will. Er übernimmt den Oberbefehl wider Willen. Nach einem kurzen Schwächeanfall meint Götz: “Das Reich des Menschen hat begonnen. Die Menschen von heute werden als Verbrecher geboren. Ich muss meinen Anteil an ihren Verbrechen einfordern, wenn ich meinen Anteil an ihrer Liebe und ihren Tugenden haben will.“ Jean Paul Sartre schrieb über sein Stück: “Der Weg den Götz einschlug, war ein Weg in die Freiheit: er führt vom Glauben an Gott zum Atheismus, von einer ort- und zeitlosen abstrakten Moral zu einem konkreten Engagement. Nasty, eine andere Figur neben ihm wäre der Revolutionär. Aber da er im 16. Jahrhundert lebt, hat er eine religiöse Dimension. Daher gibt er sich als Prophet aus. In einer anderen Zeit hätte er eine politische Partei gegründet.“

Die Freiheit des Einzelnen schließt nicht die Vernichtungslizenz für Freiheit und Leben des Anderen ein. In seinen „Betrachtungen zur Judenfrage“ schreibt Sartre bereits 1944:

“Der Antisemit ist grundsätzlich verständnislos gegenüber gewissen modernen Eigentumsformen, wie Geld, Aktien und so weiter. (..) Trotz alledem haben die Juden einen Freund – den Demokraten. Aber er ist ein armseliger Verteidiger. Wohl verkündet er, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben, ja er hat die Liga der Menschenrechte geschaffen, jedoch seine eigenen Erklärungen verraten die Schwäche seiner Position. (…) Für einen selbstbewussten und stolzen Juden, der auf seiner Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinschaft besteht, ohne deshalb die Bande zu verkennen, die ihn mit einer nationalen Gemeinschaft verknüpfen, ist zwischen einem Antisemiten und einem Demokraten kein so großer Unterschied. Dieser will ihn als Menschen vernichten, um nur den Juden, den Paria, den Unberührbaren bestehen lassen, jener will ihn als Juden vernichten, um ihn als Menschen zu erhalten, allgemeines abstraktes Subjekt der Menschen- und Bürgerrechte. Auch der liberalste Demokrat ist nicht frei von Antisemitismus. Er ist dem Juden insoweit feindlich gesinnt, als diese es wagt, sich als Jude zu fühlen. (..) Wir haben nun gesehen, dass entgegen einer weit verbreiteten Ansicht nicht der Charakter des Juden den Antisemitismus macht, sondern dass im Gegenteil der Antisemit den Juden schafft. Das Urphänomen ist demnach der Antisemitismus, ein Rückschrittliches soziales Gebilde und eine noch nicht auf Logik aufgebaute Weltanschauung. (..) Was der Antisemit wünscht und vorbereitet, ist der Tod des Juden.“

1944 erahnte Sartre noch nicht die Dimension von Auschwitz, gleichwohl bleibt seine Schrift „Überlegungen zur Judenfrage“ bis heute eine Konstante seines Engagements. Seine Sorge um den Staat Israel, weil diesem die notwendigen Waffen verweigert wurden, um sich gegen die arabischen Nachbarn zu verteidigen, seine Solidarität mit Israel während des Jom-Kippur-Krieges 1973, seine Polemiken gegen den „linken Antisemitismus“, seine Reisen nach Israel, seine Begeisterung für die Kibbuzim, seine Proteste 1975 gegen die Gleichsetzung von Zionismus und Rassismus durch die UN-Generalversammlung, zu einer Zeit als es die Hamas und die Qassam-Brigaden noch nicht gab, sind mit Blick auf seine algerischen Freunde umso bemerkenswerter.

Sartre engagierte sich für ein unabhängiges Algerien und gegen den Krieg in Vietnam. Während des französischen Algerienkrieges war er das “Gewissen“ Frankreichs. Die späteren unsäglichen „Antirassismus-Konferenzen“ der UN, also Durban I und II, diese antizionistischen, grotesken, Menschenrechte verachtenden Tribunale gegen Israel, erlebte weder Jean-Paul Sarte noch sein Bewunderer Jean Améry.

Sartre prägte Améry mit seinem Pathos der Freiheit und der Wahl des Selbstentwurfs entscheidend. Während Sartre die Freiheit nicht einmal durch die Folter gefährdet sah notierte der gefolterte Améry "an den Grenzen des Geistes" die vollständige "Verfleischlichung des Menschen" durch die Tortur, seine Verdinglichung. Später modifizierte Sartre seine Philosophie, machte Zugeständnisse bezüglich der absoluten Freiheit insoweit, dass das Wesen des Menschen, die Realität seines Daseins und seines Handelns auch gesellschaftlich bedingt ist.

Sartre erhob stets seine Stimme zu politischen Fragen, gegen Menschenrechtsverletzungen beispielsweise in den französischen Kolonialkriegen oder den Stalinismus im kommunistischen Ostblock. 1965 hat Jean-Paul Sartre den Literatur Nobelpreis abgelehnt. Seine Begründung damals: „Einzuwilligen, dass man einen Orden erhält, heißt dem Staat oder dem Fürsten das Recht zuerkennen, einen zu beurteilen, einem Ansehen zu verleihen. … Ein Schriftsteller, der politisch, gesellschaftlich und literarisch Stellung bezieht, sollte nur mit seinen eigenen Mitteln handeln, das heißt mit dem geschriebenen Wort.“ Der Hebräischen Universität Jerusalem hat der Atheist Jean-Paul Sartre dagegen das Recht zuerkannt in auszuzeichnen, nachdem er 1977 von dieser die Ehrendoktorwürde erhielt.

Jean-Paul Sartres Bücher kamen, um die gefährdeten Gläubigen „zu schützen“ 1962 auf den „Index Librorum Prohibitorum“ der katholischen Kirche. So konnte das Lesen von Sartres Büchern zur Exkommunikation aus der katholischen Glaubensgemeinschaft führen.

Während der Pariser Unruhen im Mai 1968 gab Sartre mit anderen die regierungskritische Zeitung "La cause du peuple" heraus, die er selbst auf den Straßen verteilte. Während die anderen Herausgeber der Zeitung in Frankreichs großer Staatskrise verhaftet wurden und die Polizei auch Sartre festsetzen wollte griff Staatspräsident Charles de Gaulle ein und ordnete an: "Einen Voltaire verhaftet man nicht."

Am 15. April 1980 ist Jean-Paul Sartre im Alter von 74 Jahren in einem Pariser Krankenhaus gestorben. Vier Tage später folgten über 50.000 Franzosen in Paris seinem Sarg zum Friedhof Montparnasse.

Quellen: J.P. Sartre – Der Teufel und der liebe Gott (1951) | J.P Sartre – Betrachtungen zur Judenfrage (1944) | J.P Sartre – Der Existentialismus ist ein Humanismus: Und andere philosophische Essays 1943 - 1948 (2000) | J.P. Sartre

Überarbeiteter Text von Mission Impossible

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