Karl Kautsky, Sigmar Gabriel und der sozialdemokratische Antizionismus

Als stärkste sozialdemokratische Partei Europas war die SPD des Kaiserreichs richtungsweisend innerhalb der internationalen Sozialdemokratie. Der deutsch-tschechische Philosoph und sozialdemokratische Politiker Karl Kautsky (1854–1938), war nach dem Tod von Friedrich Engels (1820–1895) der führende Theoretiker der Sozialdemokratie. Kautskys Schrift „Rasse und Judentum“ von 1914 fasste alle seinerzeit von sozialistischer Seite gegen den Zionismus vorgebrachten "Argumente" zusammen. Die „Zionismusanalyse“ von Karl Kautsky bildete die Grundlage nicht nur für die SPD sondern auch für die russischen Bolschewiki und die spätere DDR. In Kautskys Schriften manifestieren sich bereits die antisemitischen Tendenzen, die den gegen Israel gerichteten Antizionismus vorwegnahmen.

Das Verhältnis der SPD zum Antisemitismus war gespalten und oberflächlich. Als der Philosoph und Nationalökonom Eugen Dühring (1833-1921) Mitte der 1870er Jahre seine anarchistisch gefärbte, „nationale“ Konzeption des Sozialismus mit antisemitischen Angriffen auf Karl Marx wie Ferdinand Lassalle verbreitete, blieben die Politiker der SPD weitgehend stumm. Erst als ab 1878 das Sozialistengesetz in Kraft trat und als die Christlich-Soziale Arbeiterpartei mit dem protestantischen Hofprediger Adolf Stoecker als ultrakonservative Konkurrenzpartei in Erscheinung trat, begann die SPD deren Antisemitismus zu verurteilen. Friedrich Engels bezog als erster Arbeiterführer unzweideutig gegen den anwachsenden politischen Antisemitismus Position. In seinem Brief „Über den Antisemitismus“ im Mai 1890 von der Wiener Arbeiter-Zeitung veröffentlicht, analysierte er den in Europa deutlich von Ost nach West zunehmenden Antisemitismus als „das Merkzeichen einer zurückgebliebenen Kultur.“ Engels widersprach der Gleichsetzung von Juden und Kapital und verwies dabei auf die in Armut lebenden Menschen des jüdischen Proletariats.

1892 verabschiedete die SPD auf ihrem Parteitag eine Resolution gegen den Antisemitismus, allerdings nicht auf der Ebene grundsätzlicher politischer Prinzipien, sondern mit der Begründung, der „einseitige Kampf des Antisemitismus gegen das jüdische Ausbeuterthum muß nothwendig erfolglos sein, weil die Ausbeutung [...] keine speziell jüdische, sondern einer der bürgerlichen Gesellschaft eigenthümliche Erwerbsform ist.“ Diese Formulierung macht klar, dass trotz der klaren Ablehnung des politischen Antisemitismus innerhalb der deutschen Sozialdemokratie der antisemitische Topos vom relativen Übergewicht der Juden in der deutschen Wirtschaft akzeptiert war. Auf dem Kölner Parteitag der SPD 1893 hielt August Bebel (1840-1913) seine berühmte Rede „Sozialdemokratie und Antisemitismus.“ In ihr legte Bebel dar, dass die Geschichte der Ausgrenzung der Juden die zentrale Ursache für deren spezifische Berufsstruktur sei. Er versuchte Antisemiten aus der rationalen Angst vor der teilweise starken jüdischen Konkurrenz und den realen Erfahrungen mit jüdischen Händlern, Kreditgebern zu erklären. Dass der Kapitalismus und nicht das Judentum das Übel sei, „diese Erkenntnis wird den untergehenden Mittelschichten immer mehr dämmern“ und so prognostizierte Bebel dass der Antisemitismus „mit Notwendigkeit revolutionär werden muss, und damit uns [...] in die Hände arbeitet."

Mit dem Rückgang der Wählerstimmen für die Antisemiten-Parteien ab 1900 schwand auch das Interesse der SPD am Antisemitismus. Die SPD sah im Antisemitismus ein vorübergehendes Phänomen, er galt als eine Ideologie dem Untergang geweihter vorkapitalistischer Schichten. Die Hauptursache für die Entstehung des Antisemitismus lag für die SPD in der realen ökonomischen schwierigen Lage des Antisemiten. Für die SPD hatte dies zumindest scheinbar etwas mit den Juden zu tun. Bebels Rede auf dem Kölner Parteitag zeigte, dass durch dieses Zusammenwirken von Ökonomismus und Widerspiegelungstheorie die Analyse der SPD unwillentlich den traditionellen Stereotypen verhaftet blieb: „Wer sind [...] zum größten Teil die Wucherer? Unleugbar Juden.“ So verwundert es nicht, dass in der sozialdemokratischen Presse und in politischen Karikaturen ab 1890 immer wieder die Gleichsetzung Jude-Geld oder die Ablehnung bestimmter „jüdischer Eigenschaften“ auftauchte. Infolge des Fehlens einer entsprechenden Ideologietheorie konnten weder der Zusammenhang zwischen Nationalismus und Antisemitismus noch die Antriebe des Antisemitismus, noch seine Dynamik und seine Gefährlichkeit wahrgenommen werden.

Der Entwicklung des Zionismus, mit seinen sozialistischen Spielarten, infolge des stetig anwachsenden Antisemitismus in Europa und der existenziellen Notlage der Juden in Osteuropa stand die SPD ablehnend gegenüber. Laut Kautsky sei das zionistische Vorhaben aus pragmatischen Erwägungen „eine „undurchführbare Utopie“ und deshalb abzulehnen. Laut Kautsky sind Juden Stadtmenschen und sie können nicht wieder zu Bauern gemacht werden, weshalb sie wieder aus Palästina emigrieren würden und Kautsky meinte deshalb: „Je mehr für den Zionismus die ökonomische Grundlegung versagt, desto mehr muss der so bequeme Begriff der Rasse aushelfen. [...] Palästina als Weltgetto zur Absonderung der jüdischen Rasse von den anderen Rassen, das ist das Ziel des Zionismus geworden.“ Deshalb sei der Zionismus als eine reaktionäre Ideologie abzulehnen: Nicht nur würden die „zionistischen Patrioten“ gegen die historische Tendenz die Erhaltung des Judentums verfechten und den Assimilationsprozess bekämpfen; sie würden vor allein ein jüdisches „Volk“ und eine jüdische „Nation“ propagieren: “In diesem Streben begegnet sich der Zionismus mit dem Antisemitismus wie nicht minder darin, die gesamte Judenschaft aus den heutigen Staaten zu entfernen“, schreibt Thomas Haury in „Antisemitismus von links.“

Thomas Haury weiter: „1921 fügte Kautsky in die zweite Auflage von "Rasse und Judentum" noch das Kapitel "Der Zionismus nach dem Weltkrieg" ein, da sich in Palästina die politischen Verhältnisse entscheidend verändert hatten. Zwar habe die britische Regierung den Juden 1917 in der Balfour-Deklaration eine "nationale Heimstatt" in Palästina zugesichert, doch trotzdem hätten sich die politischen Chancen des zionistischen Projekts verschlechtert. Kautsky nennt an erster Stelle ein Argument, das in der bisherigen Diskussion kaum eine Rolle gespielt hatte: "Bei den zionistischen Berechnungen wird die arabische Bevölkerung meist völlig ignoriert oder als ein Umstand behandelt, um den man sich nicht viel zu kümmern braucht. Nur gelegentlich erinnert man sich der Tatsache, dass Palästina bereits ein besiedeltes Land ist. Dann nimmt man einfach an, dass seine bisherigen Bewohner verdrängt werden, um den zuziehenden Juden Platz zu machen.“ Der Zionismus verleugne das Recht der arabischen Bevölkerung auf Selbstbestimmung und proklamiere ihm gegenüber den „Anspruch einer Nation auf Wiederherstellung der Grenzen ihres Staatswesens, wie sie vor Jahrhunderten unter ganz anderen Verhältnissen bestanden hatten“; dieses von den Zionisten reklamierte „historische Recht“ sei aber »unter den vielen veralteten Rechtsansprüchen [...] der vermodertste [...]Nach dem Recht der Arbeit wie nach dem demokratischer Selbstbestimmung gehört heute Palästina nicht den Juden in Wien oder London oder New York, die es für das Judentum reklamieren, sondern den Arabern im Lande selbst, der großen Mehrheit der Bevölkerung.“ Diese aber drängten bereits jetzt nach Selbstbestimmung gegenüber den Kolonialmächten und lehnten die jüdische Siedlungstätigkeit ab. Daher müsse die jüdische Kolonisation untergehen, sobald die englisch-französische Vorherrschaft über Vorderasien zusammenbreche. Somit bewirke die Politik des Zionismus „nichts anderes [...] als dass sie mit ungeheuren Kosten und den größten Opfern der Beteiligten [die Juden] aus Gebieten, in denen die Judenpogrome ihrem Ende entgegengehen, in Gebiete transportiert, in denen solche Pogrome mit größter Macht einsetzen werden, wenn das zionistische Programm auch nur einigermaßen zur Ausführung kommt.“

Kautskys Zionismus-Kritik richtet sich gegen den real existierenden Zionismus als nationalistische Ideologie und Bewegung mit dem Ziel einer Staatsgründung in Palästina. Ohne den Antisemitismus als Entstehungsursache des Zionismus zu vergessen, lehnt Kautsky letzteren aus seinen politisch-theoretischen Positionen zu „Nationalismus“ und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker heraus ab. Kautsky hält das Ziel des Zionismus für ökonomisch unmöglich und politisch fatal und glaubt, dass die internationale Klassensolidarität und der Sozialismus alle Probleme lösen würden.

Die Haltung der SPD zum Zionismus und zum Staat Israel hat sich in den letzten hundert zwanzig Jahren seit Karl Kautsky nicht wesentlich verändert. Als Israel während des Jom-Kippur-Krieges 1973 einer arabischen Endlösung der Judenfrage so nah war wie nie zuvor, sperrte die deutsche sozialdemokratische Bundesregierung unter Willy Brandt deutsche Flugplätze und Häfen für amerikanische Nachschublieferungen, die in Israel dringend gebraucht wurden. “Die Neutralität und Ausgewogenheit der Bonner Nahost-Politik gebiete dies“, beschönigte damals Staatssekretär Paul Frank.

Nach einem Besuch in Israel ließ der der damalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel seiner „Israelkritik“ freien Lauf. Gabriel schrieb auf seiner Facebookseite am 14. März 2012: „Ich war gerade in Hebron. Das ist für Palästinenser ein rechtsfreier Raum. Das ist ein Apartheid-Regime, für das es keinerlei Rechtfertigung gibt.“ Kein Wort von Sigmar Gabriel über den antisemitischen Terror und keinerlei Verständniss für die erforderlichen Schutzmaßnahmen der israelischen Regierung seine Einwohner gegen den mörderischen Terror der Palästinenser zu schützen.

Am 12. Februar 2014 provozierte der damalige Präsident des Europäischen Parlaments und heutige SPD Kanzlerkandidat Martin Schulz vor dem israelischen Parlament und erzeugte dadurch Tumulte in der Knesset: „Ich habe vor zwei Tagen mit jungen Menschen in Ramallah gesprochen, die wie junge Menschen überall auf der Welt eine Ausbildung machen, studieren, reisen, eine Arbeit finden und eine Familie gründen wollen. Sie haben aber auch einen Traum, der für die meisten jungen Menschen selbstverständlicher Alltag ist: frei in ihrem eigenen Land zu leben, frei von Gewalt, ohne Beschränkung ihrer Bewegungsfreiheit. Das palästinensische Volk hat wie das israelische Volk ein Recht darauf, seinen Traum von einem eigenen, lebensfähigen und demokratischen Staat zu erfüllen. Die Palästinenser haben genauso wie Israelis ein Recht auf Selbstbestimmung und Gerechtigkeit. Einer der Fragen dieser jungen Menschen, die mich am meisten bewegt hat, war: Wie kann es sein, dass Israelis 70 Liter Wasser am Tag benutzen dürfen und Palästinenser nur 17?“

Es ist bezeichnend dass sich Martin Schulz auf die Zahlen der "jungen Menschen aus Ramallah" verlässt. In Wahrheit verbraucht ein Israeli 150 Kubikmeter Wasser pro Kopf und Jahr und bei den Palästinensern sind es 140 Kubikmeter Wasser. "Der Antisemitismus ist das Gerücht über die Juden", schrieb einst Adorno. Der SPD Kanzlerkandidat Martin Schulz war es auch, der sich für die „inspirierende Ansprache“ von Mahmud Abbas in Brüssel vor der UNO bedankte. In seiner antisemitischen Hetzrede sagte Abbas vor der UNO: „Bestimmte Rabbis in Israel haben ihre Regierung sehr klar dazu aufgefordert, dass unser Wasser vergiftet werden sollte, um Palästinenser zu töten.“ Zum Antisemitismus von Abbas applaudierte nicht nur die UNO, auch Martin Schulz war begeistert.

Sigmar Gabriel, der den Holocaustleugner und Antisemiten Mahmud Abbas, seinen Freund nennt, besuchte nun als SPD-Außenminister Israel. Gabriel will sich in Israel mit der linksgerichteten Nicht-Regierungs-Organisation „Schweigen brechen“ treffen. Die von Jehuda Schaul gegründete Organisation hat es sich zur Aufgabe gemacht, Soldaten nach vermeintlichen Verbrechen der israelischen Armee zu befragen und das dann in aller Welt zu veröffentlichen.

Mit anonymen Berichten von Soldaten versucht die vor allem aus Europa finanzierten Organisation "Breaking the Silence" seit Jahren, der israelischen Armee Verbrechen nachzuweisen. Kürzlich wurde die Unglaubwürdigkeit von "Breaking the Silence" nachgewiesen: Denn viele der Zeugenaussagen sind entweder nachweislich falsch oder lassen sich nicht verifizieren. Jehuda Schaul war es auch, der Gabriel 2012 durch die jüdische Enklave in Hebron geführt hatte, worauf Gabriel Israel bezichtigte, ein „Apartheid-Regime“ zu sein. Es war Jehuda Schaul, der das Gerücht in die Welt setzte, wonach Israelis das Wasser von Palästinensern vergiften würden. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat nun damit gedroht, das für den heutigen Dienstag vorgesehene Treffen mit Bundesaußenminister Sigmar Gabriel abzusagen. Sigmar Gabriel machte allerdings auch deutlich, dass er trotz allem an dem Termin mit NGO-Vertretern festhalten werde. „Es ist ganz normal, dass wir bei Auslandsbesuchen auch mit Vertretern der Zivilgesellschaft sprechen“, sagte er.

Was wohl in Deutschland los wäre wenn sich ein Staatsgast vor einem vereinbarten Besuch mit der Bundeskanzlerin mit einer dubiosen Organisation treffen würde, die offen für die Abschaffung Deutschlands eintritt? Wenn zum Beispiel Putin oder Trump vor dem Besuch der Bundeskanzlerin sich öffentlichkeitswirksam mit Vertretern der Reichsbürger treffen würde? Was wäre dann von Dunja Hayali oder Klaus Kleber in ARD und ZDF zu hören?

In Jerusalem gedachte Sigmar Gabriel bei einem Besuch der Gedenkstätte Yad Vashem der Opfer des Holocaust. Sigmar Gabriel liebt und ehrt die toten Juden. Nur mit den lebenden Juden hat er wie die SPD ein Problem und das nicht nur im Wahlkampf.

Gleichzeitig veröffentlicht bei Mission Impossible

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