ASYL: Magomed T., seine Frau Diana u. ihre Kinder - SalzBÜRGERinnen

Als ich Diana nach den zwei intensiven Tagen im November letzten Jahres,  in denen ich sie durch das Theaterprojekt "Wir sind SalzBÜRGER" das ich als Fotograf begleitete, wiedersehe, starrt sie mit ausdruckslosen Augen ins Leere. Ihre beiden kleinen Töchter, 3 und 6 Jahre, die ich beim Wiedersehen das erste Mal sehe, tollen derweil unbekümmert um sie herum.

Die Tschetschenin und Mutter Diana kann in diesem Moment nicht mehr auf ihre Kinder eingehen, sie ist mit den Gedanken woanders: sie, ihre beiden kleinen Töchter und ihr Mann Magomed sollen in den nächsten Tagen nach Tschetschenien abgeschoben werden, sie haben bereits Abschiebebescheide, die Polizei kann sie  möglicherweise jeden Moment abholen. Diese Fakten hat mir Kathrin, die Regisseurin  des Theaterprojekts, in einem Facebook-Posting vermittelt, ich dachte Dianas Asylverfahren ist auf gutem Weg.

Was die Abschiebung nach Tschetschenien bedeutet weiss die Frau, die durch die beiden Tschetschenien-Kriege und den Kampf ums Überleben darin nur ganze drei Jahre Schulbildung erhielt, aus eigener brutaler Erfahrung nur zu gut: blanke Willkür der Geheimpolizei mit Hausdurchsuchungen, Schikanen gegen sie und die Kinder. Immer drohende Abholung ihres Mannes Magomed und Verschleppung ins Foltergefängnis mit wochenlanger Folter, wie schon einmal. Dieser Terror den auch die Russland-Expertin und Tschetschenien-Kennerin Susanne Scholl im Artikel "Was abgeschobenen Tschetschenen zu Hause droht" in ihrer Kolumne beschreibt weil sie den Fall der Familie aufgriff, passiert vielfach auch heute noch, hat System und ist Folge einer perfiden, grausamen Strategie. Wer einen Abwehrkämpfer gegen Diktator Kadyrov oder Russland in der Familie hat, muss mit Verfolgung rechnen, über Jahrzehnte, mit Sippenhaftung und bis in den Tod, nicht einmal im Ausland sind Geflüchtete vor dem Geheimdienst sicher. Die Liste der Familienmitglieder mit getöteten oder vermissten Familienmitgliedern ist ein einziges, langes Totenbuch des Schreckens.

Schon bei unserer ersten Begegnung war Diana die Stillste, Ruhigste unter den Geflüchteten und AsylwerberInnen, die im Projekt "Wir sind SalzBÜRGER" über ihre Verfolgung im Herkunftsland, ihre Fluchtentscheidung und ihren Weg nach Österreich und ihre Träume für ein Leben in ihrer neuen Heimat berichteten. Der Fotograf, der mit Bildern, nicht mit Worten arbeitet, sieht und erkennt aber eine sanfte, geduldige Erklärerin, die nicht ohne Stolz und mit viel Geduld den Menschen in der Kirche beschreibt, wie die Süssspeise die sie gebacken hat, ein Nationalgericht, hergestellt wird. Die Menschen hören aufmerksam zu, wenn sie ruhig u sachlich aus erster Hand in ihrem gebrochenen Deutsch erklären kann, welch Hölle Tschetschenien für Menschen ist die verfolgt sind, die aber nichts anderes wollen als mit ihrer kleinen jungen Familie in Frieden zu leben. Als Verkäuferin Diana, Magomed als Bauarbeiter und Mechaniker, die jüngste Tochter ist erst ein Jahr als sie nach fast 9 Jahren Verfolgung, Angst, Psychoterror gegen sie und rund um sie in der gesamten Kernfamilie doch fliehen.

All die Hoffnung bei der Flucht, der Kampf anzukommen und sich hier, vom Erlebten traumatisiert, zurechtzufinden, das Leben für sich und ihre Kinder in einer ihr fremden Umgebung in einem einzigen Zimmer für Vier zu organisieren. Dann der große Mut den es jedenfalls braucht als ausgegrenzte Asylwerberin in einem so großen Theaterprojekt  mitzumachen, als Muslima total im Scheinwerferlicht einer riesigen christlichen Kirche vor über 100 Menschen zu stehen. Ihr Einsatz neben dem Alltag Deutsch zu lernen, sie hat Deutsch-Level A2 erreicht, ihr unbezahlter Dienst im Seniorenheim als Reinigungskraft, alles alles ist also umsonst. Dass die Ältere in die Vorschule, die Kleine in den Kindergarten geht, uninteressant.  Dass beide Mädchen ihre angebliche "Heimat" Tschetschenien den Großteil ihres jungen Lebens nie betreten und gesehen haben und all ihre FreundInnen und Freunde hier haben, besser Deutsch als Tschetschenisch sprechen - egal.

BürokratInnen und Asyl-Gerichte haben sich hinter Paragraphen, einer vermutlich veralteten Länderanalyse, vagen Rechtsauskünften bei den Verfolgern selbst vor Ort, und Gutachten dem Asylrecht selbst, das so komplex geworden ist, dass es auch Top-JuristInnen nicht mehr verstehen,  verschanzt und nach "Vorschrift ist Vorschrift" geurteilt. Diesen vier Menschen jede Perspektive auf ein Leben genommen. Eltern, die hier gerade nach langem Kämpfen Fuss fassen und sich selbst erhalten können, müssen ihre noch sorgolsen Mädchen nun schutz- und rechtlos FremdenpolizistInnen, später wenn Geheimdienst-Schergen sie selbst abholen Fremden oder entfernten Verwandten überlassen. Ein Alptraum für jeden Vater und Mutter.

Wenn an der Schuld von Angeklagten auch bei schwersten Kapitalverbrechen auch nur ein Funken Zweifel besteht kommen sie "im Zweifel für den Angeklagten" frei. Die Entsprechung dieses Irrtum-Schutzes im Asylwesen gibt es für mich nicht, sie wäre wohl "Wenn es auch nur den kleinsten Anhaltspunkt für Verfolgung und  Bedrohung gibt, gewähren wir "in dubio pro reo" Asyl". Das ist in meinen Augen pervers, unmenschlich und absurd.  Es gibt auch gerade für diese Region Asylsenate die seit Jahren und in über hundert Fällen kein Asyl gewährten, überforderte, wie der bekannte Asylwesen-Kenner Georg Bürstmayr bestätigte ausgebrannte BeamtInnen urteilen gnadenlos, faire Beweiswürdigung scheint unbekannt zu sein.

Meine Gefühle in dieser Situation schwanken zwischen grenzenloser Ohnmacht, blinder Wut über dieses perverse, unmenschliche System des "Rechtsstaat Österreich" mit dem Ziel, Abschiebequoten zu erfüllen und Ergebnis, Leben von offensichtlich Verfolgten zu zerstören. Wie muss es da erst Diana und Magomed gehen, die ja die Ausgelieferten, Abgeschobenen, grenzenlos Ohnmächtigen sind.

Irgendwie schaffen wir es dann doch, alle gemeinsam mit den ausgelassen tollenden Mädchen auf den nahen Spielplatz zu gehen, und als sie ihre Kinder so glücklich sieht da kann auch sie für ein paar kurze Minuten fast lächeln glücklich, bevor es weitergeht ins ABZ zum Treffen und dem Versuch, alles Menschenmögliche zu tun, um die Abschiebung noch abzuwenden.

Die Hoffnung stirbt zuletzt, und das Team des Theaterprojekts um Kathrin wird bis zuletzt für die Familie kämpfen. Die beiden kleinen tschetschenischen Österreichinnen werden ihren #Girlsday 2016 in Freiheit und Frieden mitten unter uns verbringen.

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